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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Ecke, Junge, ist eine Wirtschaft. Lauf dorthin und kauf einen Liter helles Bier.« Sie begleitete Bruno bis zur Haustür, zeigte ihm, wo das Wirtshaus lag, und warnte: »Und lass dich nicht mit den Bengeln von der Straße ein, hörst du?«
    Die Straße sah jetzt ganz anders aus als am frühen Morgen. Die Sonne schien hell, einige Fenster waren geöffnet worden und vor allem alte Männer und Frauen hatten ihre Arme auf die Fensterbank gestützt und schauten ins Freie.
    Große und kleine Kinder standen in Gruppen oder jagten über die Gehsteige. Einige äugten aufmerksam zu Bruno hinüber, aber sie ließen ihn in Frieden. Am Eingang zum Wirtshaus standen die beiden Mädchen, die Bruno schon am Morgen getroffen hatte.
    »Na, habt ihr die Warczaks gefunden?«, fragte die eine keck und drehte die Zöpfe zu einer Schnecke. Sie sah fast schon erwachsen aus.
    »Ja, danke«, antwortete Bruno.
    Im Flur des Gasthauses war ein Schalter. »Bierverkauf«, stand auf einem Pappschild darüber. Während der Wirt das Bier in den Krug zapfte, schaute Bruno aus den Augenwinkeln auf die Mädchen. Die Schwarze hatte die Arme hochgereckt und nestelte immer noch an ihrem Haar. Ihr Kleid spannte sich über den Brüsten. Ihm schoss das Blut in den Kopf.
    »Was ist?«, fragte der Wirt. »Willst du nicht bezahlen?«
    »Doch, doch«, antwortete Bruno verwirrt.
    Während der Wirt das Wechselgeld auf das Schalterbrett zählte, schnauzte er: »Luise, Wanda, du Rabenaas! Ihr sollt euch nicht immer im Flur herumdrücken.« Mit »Wanda, du Rabenaas« konnte er nur die Schwarze meinen, denn die andere hatte brandrotes Haar.
    »Ist kalt draußen«, sagte die Schwarze.
    »Ich mach euch gleich Beine!«, fauchte der Wirt.
    »Haben wir schon. Von den Füßen bis zum Hintern«, rief die rote Luise. Sie lachten und liefen davon.
    Frau Warczak zählte das Wechselgeld genau nach. »Willst du einen Schluck?«, fragte sie den Jungen, doch Bruno schüttelte den Kopf.
    Sie goss den Männern das Bier in die Gläser.
    Oberschott sagte: »Prost! Und auf Ihre Schönheit, Frau Warczak!«
    Sie drohte ihm und trank einen kleinen Schluck aus dem Glas ihres Mannes. »Ich muss nach den Bohnen sehen«, sagte sie.
    Oberschott wurde ernst und sagte zu Hubert: »Warczak, es ist der Teufel los auf dem Schacht. Von der Morgenschicht an soll wieder mal gestreikt werden.«
    »Ich habe auch davon gehört«, sagte Hubert. »Der christliche Gewerkschaftsbund hat sich noch nicht entschieden, aber in den anderen Gewerkschaften führen die Kommunisten und bringen’s auch wohl durch. Sie haben eine Allgemeine Bergwerksunion in Essen gegründet.«
    »Auch das noch«, murrte Oberschott. »Den Sechsstundentag wollen sie und sage und schreibe 25 Prozent Lohnerhöhung und obendrauf noch das Rätesystem.« Oberschott schüttelte den Kopf. »Die schlagen über alle Stränge mit ihren Forderungen und die Kohleförderung sinkt und sinkt.«
    »Aber das ist doch eine schwere und gefährliche Arbeit im Pütt«, wandte Paul ein.
    »Wem sagen Sie das«, antwortete Oberschott und blickte Paul prüfend an. »Wenn wir die Hände in den Schoß legen, dann kriegen wir die Karre niemals aus dem Dreck.«
    »Für wen, Steiger, sollen die Arbeiter sie rausziehen, die Karre?«
    »Halt den Mund, Paul!«, fuhr Hubert dazwischen. »Dein Vater hat ein Baugeschäft. Gerade du darfst nicht so reden.«
    »Oder sind Sie etwa auch dafür, dass alles verstaatlicht wird?«, fragte Oberschott.
    »Wer weiß, vielleicht wär’s besser«, antwortete Paul.
    Oberschott schaute ihm noch einmal voll ins Gesicht, hob sein Glas und nahm einen langen Schluck.
    »Warczak, tun Sie in Ihrer Gewerkschaft alles, damit es nicht zu einem Streik kommt«, sagte er und erhob sich.
    »Sie können sich auf mich verlassen, Steiger«, sagte Hubert und begleitete Oberschott bis zur Tür.
    »Du hättest besser den Mund gehalten, Paul«, sagte er, als er die Tür hinter sich zugezogen hatte. »Schließlich suchst du doch Arbeit. Auf dem Pütt geht nichts ohne Oberschott.«
    »Ich will meine Arbeitskraft verkaufen, Hubert, nicht aber mich selbst«, erwiderte Paul.
    Hubert zuckte die Achseln. »Große Worte für einen, der Arbeit sucht. Aber du musst ja selbst wissen, was du tust«, sagte er dann.

9
    »Sie nannten es »Mittagsschläfchen«, aber es war in Wirklichkeit ein handfester Streit, der oben im Schlafzimmer ausgefochten worden war. Hildegards laute Worte, ja selbst ihre Tränen hatten nichts daran ändern können, Hubert setzte seinen Kopf

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