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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Brett.
    »Los!«, schrie er. »Beweg dich!«
    Sie strampelte ein wenig, bekam jedoch offenbar das Übergewicht, ihr Kopf tauchte kurz unter. Er riss sie empor. Sie drängte sich eng an ihn und umklammerte ihn. Ihr Gesicht war ganz dicht vor dem seinen. Das Wasser perlte auf ihrer braunen Haut. Die Augen blitzten und ihre Lippen waren leicht geöffnet.
    Jetzt stand er wie eine Gipsfigur. Sie küsste ihn sanft und ganz kurz, stieß ihn dann von sich und stürzte sich mit einem Schrei kopfüber in das Wasser.
    Einen Augenblick stand er starr vor Schreck. Der Kanal war tief. Aber dann sah er sie auftauchen und in ruhigen Kraulschlägen zu einem Lastkran hinüberschwimmen, der schwer im Wasser lag und von einem Schlepper dahingezogen wurde.
    Sie schwang sich ins Gangbord hoch.
    »Wanda, Rabenaas!«, brüllte er.
    Sie lachte laut und schrie zurück: »Ich hab’s gemacht, wie du es gesagt hast. Man muss nur Zutrauen haben zum Wasser, weißt du? Dann trägt es. Es war ganz leicht.«
    »Rabenaas«, knurrte er leise.
    Ein Spitz kläffte und schoss das Gangbord entlang auf Wanda zu. Die wartete, bis der Hund ganz dicht heran war, dann machte sie einen eleganten Hechtsprung.
    Bruno erreichte sie, als sie auftauchte. Er packte Wanda, drückte sie fest an sich, küsste sie und sank mit ihr hinab.
    Mit geübtem Griff bog sie seine beiden kleinen Finger nach hinten und als er sie wegen des stechenden Schmerzes freigeben musste, stieß sie ihn mit beiden Beinen von sich weg.
    »Versuch das nicht noch einmal!«, sagte sie, als sie lang auf der Uferwiese lagen. »Ich bin nämlich die beste Schwimmerin in unserer Schule.«
    Die Sonne schien ihnen heiß auf die Haut. Einmal kam Bruno Möhringer aus seiner Klasse vorbei, aber er schien die beiden zu übersehen.
    »Was trägst du eigentlich in deinem Lederbeutel auf der Brust immer mit dir herum?«, fragte Wanda.
    »Allerhand«, antwortete er kurz.
    »Zeig mir wenigstens etwas davon«, drängte sie ihn.
    Er zauderte, sagte aber dann: »Ich habe ein Taschenmesser, scharf wie eine Rasierklinge. Wenn ich mir eine von deinen schwarzen Locken abschneiden darf, dann zeige ich dir das Wichtigste, was in dem Beutel ist.«
    »Na gut«, sagte sie.
    Er klappte das Messer auf.
    »Schneide bitte dort, wo niemand es sieht«, sagte sie.
    Er schnitt ihr eine bleistiftdicke Strähne aus dem Nackenhaar, öffnete seinen Brustbeutel und legte die Locke hinein. Dann zog er das Zeitungsfoto heraus, faltete es behutsam auseinander und strich es mit dem Finger glatt. Er reichte es zu Wanda hinüber.
    »Na und?«, fragte sie enttäuscht.
    Er richtete sich halb auf und zeigte auf den Offizier. »Der da hat meinen Bruder Wilhelm erschossen. Ich war dabei. Er soll irgendwo am Rhein wohnen.«
    Sie blieb gleichgültig und sagte: »Es sind viele umgekommen im Krieg.«
    »Das war nicht im Krieg. Das war im Januar in Berlin.«
    »Nach dem Krieg wurde auch noch geschossen«, antwortete Wanda. »War sicher ein Roter, dein Bruder, was?«
    Er riss ihr heftig das Foto aus der Hand und steckte es in den Beutel zurück. »Ich werde den Mörder finden«, sagte er verbissen. »Ich werde ihn finden!«
    »Lass uns nach Hause fahren«, sagte sie und schlüpfte in ihr Kleid. »Wenn du alle die Männer Mörder nennst, die im Kampf geschossen haben, dann laufen hier ziemlich viele Mörder herum.«
    Sie wartete nicht auf ihn und er ließ sie davonfahren.
    Am nächsten Morgen nach der großen Pause hatte die Klasse Rechnen bei Papa Haller. »Schlage die Tafel auf, Lobokeit«, sagte der Rektor.
    Ein kleinwüchsiger Junge aus der ersten Bank stand auf und tat, was der Rektor befohlen hatte.
    Da stand es groß an der Tafel und alle konnten es lesen: »Der Kurpek bringt der Wanda das schwimmen bei!«
    Laut johlten die Jungen auf. Bruno saß blutübergossen in seiner Bank. Rektor Haller hob die Hand. Alle verstummten.
    »Was soll das, Bruno Kurpek?«, fragte er.
    »Ich war gestern am Kanal, Herr Rektor«, stammelte Bruno.
    »Stimmt das, was da steht?«, wollte Rektor Haller wissen.
    »Stimmt nicht.« Bruno hatte sich ein wenig gefasst. »Schwimmen wird in diesem Falle großgeschrieben.«
    Der Rektor blickte zur Tafel. »Bist ein kluges Köpfchen, Kurpek.« Er wandte sich an die Klasse. »Wer hat das geschrieben?«
    Niemand meldete sich.
    Bruno hatte den Möhringer in Verdacht. Aber am nächsten Tag bereits musste er den Gedanken aufgeben.
    Keiner hatte wohl gedacht, dass das Spiel noch weitergetrieben werden sollte. Diesmal stand an der

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