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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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spürte Franziska. Eine Petroleumlampe wurde angezündet.
    Paul legte seine Hand leicht auf Franziskas Schenkel. Sie stieß ihn zurück und sagte leise: »Bitte nicht!«
    »Ja ja, ich weiß … Dein Freund in Holland!« Er rief laut zu Karl hinüber: »Wie, zum Teufel, hast du es geschafft, dass deine Resi ›ja‹ zu dir gesagt hat? Ich höre von Franziska immer nur ›bitte nicht‹. Dabei kann sie so schön ›bitte, bitte‹ sagen. Die Feigels hat sie damit herumgekriegt und sie haben ihr die Werkstatt vermietet.«
    »Du bist ein Ekel«, stieß Franziska hervor.
    »Und ich Ekel habe dir mit deinen Brüdern geholfen zu streichen und einzurichten. Alles, damit du auf deinen eigenen Beinen stehen kannst.«
    »Recht hat sie«, schlug sich Henriette Krebber auf Franziskas Seite. »Schauen Sie mich an!«
    Jakob sagte ein wenig verlegen: »Lass doch, Henriette.«
    »Schauen Sie mich an«, wiederholte die Frau. »1912 habe ich das Abitur gemacht. Mein Vater war Lehrer in einer Landschule. Er hat immer darunter gelitten, dass seine Eltern sich nicht erlauben konnten, ihn studieren zu lassen. Sein einziges Kind sollte es mal besser haben. Leider war ich ein Mädchen. Trotzdem: Meine Eltern sparten und knauserten. Ich begann ein Jurastudium in Bonn. Das war damals ungewöhnlich und nicht nur von den Studenten wurde ich schief angesehen. Aber es hat mich immer schon gereizt herauszufinden, was das ist, das Recht. Und dann ging es mir wie vielen Frauen. Ich dumme Kuh wurde Rote-Kreuz-Schwester, wollte das Studium für die Zeit des Krieges unterbrechen. Damals glaubten ja alle, der Sieg sei eine Sache von wenigen Monaten. Im Lazarett lernte ich diesen Filou Jakob Krebber kennen. Der Kehrreim der Strophen ist immer gleich. Ich habe ihn 1915 geheiratet. Er musste zurück ins Feld, ich ging zu seinem Vater auf die ›Annette II‹. Sehen Sie sich meine Hände an.« Sie legte ihre kleinen Hände flach auf den Tisch in den Schein der Lampe. Sie waren mit Schwielen überzogen, übersät mit Schrammen und kaum verheilten flachen Narben. »Die Krebbers sagen, niemals zuvor hätten sie einen so tüchtigen Matrosen an Bord gehabt.«
    »Stimmt«, sagte Jakob. »Aber das ist nur die halbe Wahrheit.« Seine schwarzen Augen unter buschigen, mächtigen Brauen funkelten. »So nebenbei hat sie zwei Kinder geboren und in einem halben Jahr werden es vielleicht drei sein.«
    »Und das kann ich euch nur raten«, fügte Willi Rath hinzu, »wenn ihr jemals auf einem Schiff arbeitet und es gibt Streit, fragt die Henriette Krebber. Sie lässt nicht nach, bis sie heraushat, was auf dem Strom und auf dem Kanal Recht ist und was nicht.«
    »So ist es«, bestätigte Jakob. Er riss die schmale Frau heftig in die Arme und küsste sie.
    Sie lachte, strich sich die Haare wieder glatt und sagte: »Sie sehen es, Franziska, was die Männer mit uns machen.«
    »Mit mir nicht«, widersprach Franziska. »Vor vierzehn Tagen habe ich mit den Feigels einen Vertrag gemacht. Sie vermieten mir im Erdgeschoss die linke Seite ihres Hauses. Ein schöner, großer Werkstattraum ist das. Und dazu ein Schaufenster!«
    »Wie ist es, Jakob?«, fragte Henriette. »Willst du der jungen Schneiderin nicht auf die Sprünge helfen und ein neues Kleid für mich bestellen?«
    »Das mache ich«, stimmte Jakob zu. »Aber den Stoff, den schmuggele ich bei der nächsten Fahrt aus Holland herüber.«
    »Bei der ersten Kundin werde ich mich besonders anstrengen«, versprach Franziska.
    Später stieg sie mit Paul die Stufen zum Wasser hinab, die Karl in die Steilwand gegraben und mit Brettern befestigt hatte. Am Wasser stand eine roh zusammengezimmerte Holzbank. Dort saßen sie und schauten auf die Brechungen des letzten Lichts in dem ruhig daliegenden Wasserspiegel.
    »Ich wollte schon länger mit dir reden«, sagte Paul.
    Als er merkte, dass sie ein Stück von ihm wegrückte, lachte er. »Nein, es hat nichts direkt mit uns beiden zu tun.« Er nahm Brunos Brief aus der Jackentasche, erzählte ihr die Geschichte des Jungen und las den Brief von Anfang bis Ende vor.
    »Du bist zu nichts verpflichtet«, sagte Franziska. »Schließlich ist der Junge nicht mit dir verwandt.«
    »Ich weiß es«, sagte er.
    »Du weißt es, aber es lässt dir da drin keine Ruhe.« Sie tippte ihm gegen die Brust.
    »Ja«, bestätigte er. »Ich denke sehr oft an Bruno und das macht mich unruhig.«
    Man könnte ihn dafür lieben, dachte Franziska, aber niemals hätte sie das ausgesprochen. Stattdessen sagte sie: »Ihr

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