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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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schon!«, sagte er.
    Paul zog seine Arbeitskleidung wieder an. Kwiatkowski hatte inzwischen schon Pauls Lampe vom Schalter geholt.
    Sie mussten nicht auf die Seilfahrt warten. Abwärts ging es rasend schnell.
    Auf der sechsten Sohle war der Teufel los. An über zwanzig Hunden hatten sich die Räder an den Achsen festgefressen.
    »Sabotage!«, schrie der Maschinenhauer, der aufgeregt und mit rotem Kopf zwischen den Wagen und seinen vier Schlossern hin und her lief, einander widersprechende Befehle gab und völlig durchzudrehen schien, als er Kwiatkowski bemerkte.
    »Nicht meine Schuld, Steiger«, jammerte er, riss den Helm vom Kopf und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht.
    »Ist mir klar, Pudlak«, sagte Kwiatkowski kurz angebunden. »Aber schaffen Sie die Sache aus der Welt und das schnell.«
    Paul hatte sich inzwischen einen Überblick verschafft. »Wir müssen die Hunde von den Gleisen wegschaffen«, sagte er. Die Schlosser nickten, dankbar für die erste klare Anweisung, und begannen, die Zufahrt zum Förderkorb zu räumen.
    Ohne dass Paul es zunächst gemerkt hatte, schauten die Männer auf ihn. Selbst der Maschinenhauer Pudlak ordnete sich willig Pauls Vorschlägen unter.
    Kwiatkowski atmete auf, stellte weitere zehn Bergleute ab, die Paul helfen sollten. Nach zwei Stunden rollten die ersten Kohlen wieder in den Förderkorb.
    »Korb hoch!«, signalisierte der Maschinensteiger.
    Nun ging es daran, die Achsen auszuwechseln. Zum Glück hatte Pudlak einen großen Vorrat davon.
    Als der Schaden behoben war, hatte Paul über zwanzig Stunden unter Tage geschuftet. Zerschlagen, aber zum ersten Mal auch ein wenig glücklich, kam er kurz vor Mittag nach Hause.
    »Sie haben mich wirklich gebraucht«, antwortete er, als Franziska wissen wollte, warum er nicht rechtzeitig gekommen war und der Ausflug ins Wasser fallen musste.
    »Der Kwiatkowski hat gesagt, er kann mich vielleicht im Lokschuppen unterbringen«, sagte Paul.
    »Das wäre sicher gut für dich«, sagte Franziska.
    Als Paul kurz vor dem Abendessen aus seiner Kammer in die Küche kam, da hörte er von »vorne« Karls Stimme. Vorne, so hieß bei den Reitzaks eine Art Wohnzimmer, das zur Straße hin lag, eingerichtet mit Sofa und Gläserschrank, einer Hängeuhr an der Wand und einer prächtigen Petroleumlampe über dem Tisch, Binsenstühlen rundum, einem hohen grünen Kanonenofen und einer Kirschbaumkiste in der Ecke. Über der Kiste hing ein Foto von einem untersetzten Soldaten. »Mein Bruder Hans war Unteroffizier«, hatte Ditz gesagt. »Er ist 1917 gefallen.« Neben diesem Foto war ein hellerer Fleck auf der Tapete zu sehen. Paul hatte erfahren, dass dort bis vor zwei Jahren das Bild eines anderen Reitzak-Sohnes zu sehen gewesen war. Aber Martin war nach dem Krieg zu einer Frau gezogen, deren Mann in Rußland vermisst war. Mit der lebte er zusammen. Die Reitzaks hatten ihren Sohn vor die Wahl gestellt: Die oder wir! »Seitdem ist Martin für meine Eltern gestorben«, hatte Ditz ihm anvertraut. »In solchen Sachen ist meine Mutter hart wie Marmor.«
    Sonntags nach dem Mittagessen saßen die Reitzaks vorne. Mathes März war oft dabei, seit Franziska aus Holland zurückgekommen war, und gelegentlich kam auch Hermann, der einzige Sohn der Familie Cremmes. Den Cremmes’ gehörte das Haus. Sie bewohnten das ganze Erdgeschoss. Sie konnten sich das leisten. Hermann war bei der Reichsbahn. Er sah Franziska nicht ungern. Die Nachbarin Borboschilski hatte Franziska dicht zu sich herangezogen und ihr zugeflüstert: »Halt dir den warm, Ziska! Der Hermann ist ’ne gute Partie.«
    Aber Franziska hatte nur gelacht und gesagt: »Ich denke nicht ans Heiraten, Tante Borboschilski. Ich habe in Holland einen Beruf gelernt. Ich will auf eigenen Beinen stehen.«
    »Hochmut kommt vor dem Fall«, knurrte die Borboschilski.
    Aber das konnte Franziska nicht schrecken. Sie hatte sich bereits umgesehen, ob sie nicht günstig eine Werkstatt mieten konnte. »Aber ein Schaufenster muss dabei sein«, behauptete sie. »Wie soll man sonst sehen, wie gut ich schneidern kann?«
    An Reitzaks Tisch vorne ging es hoch her. Mathes März war ein in der Wolle gefärbter Roter und hatte entschiedene Vorstellungen davon, wie es mit Deutschland werden sollte. Er verteidigte die Sabotage auf der Zeche. »Die Franzosen schleppen unsere Kohle weg. Tag und Nacht rollen die Züge über die Rheinbrücke. Zum Dank schieben sie uns Deutschen allein die Kriegsschuld zu. Und unsere

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