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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Marionettenregierung hat in Versailles auch noch im vorigen Monat das Schanddiktat unterschrieben. An den 28. Juni 1919, da werden wir noch oft denken müssen. Dreißig Jahre sollen wir zahlen, zahlen, zahlen, bis wir schwarz sind.«
    »Das möchte ich erleben«, lachte Paul, »dass ein Roter schwarz wird.«
    Aber dem Mathes war nicht zum Scherzen zu Mute.
    »Du darfst nicht unterschlagen, Mathes«, sagte Frau Reitzak, »dass die Franzosen einmarschiert wären, wenn der Versailler Vertrag nicht von uns unterzeichnet worden wäre. Mit Marschall Foch ist nicht zu spaßen.«
    »Und erfüllen können wir den Vertrag nur, wenn wir in die Hände spucken und arbeiten«, sagte Paul.
    »Hör auf, du Kapitalistenknecht!«, schimpfte Mathes. »Du gibst dich dazu her, die Räder wieder zum Rollen zu bringen.«
    Hermann sagte: »Ich hatte neulich in München einen Tag Pause. Da tut sich was. Die Räterepublik ist lange tot. Aber es schließen sich Männer und Frauen zusammen, die wollen ein starkes, einiges Vaterland. Die Deutsche Arbeiterpartei.«
    »Mensch, Hermann, halt den Mund!«, sagte Karl ärgerlich. »Noch mehr Splittergruppen. Teile die Arbeiterschaft auf und du beherrschst sie.«
    »Ihr mit eurer Republik und eurer ganzen Quasselei, ihr werdet doch nie ein starkes Deutschland schaffen«, erwiderte Hermann kalt. »Was wir brauchen, das ist ein Führer mit starker Hand.«
    »So eine Art Messias, wie?«, spottete Mathes.
    »Schluss jetzt!«, forderte der alte Reitzak, der die ganze Zeit auf der Kiste saß und seine halblange Pfeife paffte. »Ich glaube, wenn ihr hier in der Straße nicht früher zusammen Fußball gespielt hättet, wenn ihr nicht gelegentlich miteinander singen würdet, die Schädel würdet ihr euch heute einschlagen. Politik, das ist Gefühl für den richtigen Weg. Und ihr, ihr habt kein Gefühl dafür. Ihr macht Politik mit dem Maul.«
    Sehr sanft redete Frau Reitzak ihren Mann an und wandte ein: »Weißt du, Martin, ich denke, dass man in der Politik vor allem den Verstand gebrauchen muss. Suchen musst du, wo sich die richtige Lösung findet.«
    Der alte Reitzak schaute seine Frau lange an. Er würde sie wohl nie ganz verstehen. Er legte seine Hand auf die ihre und zog sie verlegen zurück, als er merkte, dass alle es sehen konnten.
    Franziska machte das Abendessen zurecht. Die jungen Männer gingen nach Hause.
    Nur Karl blieb.
    In der Werft wurde immer noch gestreikt. Karl jedoch hatte noch weniger Zeit als sonst. Er arbeitete für die SPD, kassierte die Beiträge, hielt gelegentlich Vorträge in Versammlungen.
    »Ich habe mir einen kleinen Garten angelegt«, sagte er beiläufig.
    »Einen Garten? Du?«, wunderte sich Paul. »Wer soll denn das Gemüse und die Beeren essen, die du erntest?«
    »Ein Stück Ödland war’s. Es liegt in der Nähe der Pumpstation.« Er schwieg eine Weile und sagte dann: »Ich will nämlich heiraten, sobald der Streik zu Ende ist.«
    Paul verschlug es die Sprache.
    Er erinnerte sich, dass Karl regelmäßig Briefe in seine Heimat im Schwäbischen geschickt hatte. Auch hatte er dann und wann eine Resi erwähnt, aber das war auch alles gewesen und unter Freunden, dachte Paul, war das ziemlich wenig für einen, der heiraten wollte.
    »Ich will mir eine Gartenlaube bauen, Paul. Hilfst du mir?«
    »Aber klar«, sagte Paul.
    Als auch Karl gegangen war, da lobte ihn Franziska und sagte: »Der Kerl hat Energie. Der baut was auf.«
    »Wie du«, spottete Paul.
    »Ja, wie ich. Ich werde einen Laden mieten. Mutter leiht mir bestimmt ihre Nähmaschine.«
    »Verfüge nicht über Mutters Sachen!«, murrte der alte Reitzak. »Eine Frau und eine selbstständige Schneiderwerkstatt. Lauter Flausen! Heirate und nähe zu Hause.«
    »Wie Tante Billa, Vater? Nein. Ich stelle mich auf eigene Füße.«
    Martin Reitzak stand auf und stapfte verärgert in die Küche. »Diese Weiber werden alle verrückt«, schimpfte er vor sich hin. »Der Krieg hat sie alle verrückt gemacht.«
    Als ihr Mann die Tür geschlossen hatte, sagte Frau Reitzak: »Ob der Krieg uns verrückt gemacht hat, das weiß ich nicht. Aber eins haben wir gemerkt. Als die Männer im Feld waren, da hat sich herausgestellt, dass wir Frauen stärker sind, als man uns gesagt hat. Wir waren allein mit Kindern und Haus. Sehr allein mit allen Sorgen. Und wir haben es geschafft.«
    »Ich werde es auch schaffen.«
    »Na, ich weiß nicht«, zweifelte Frau Reitzak. »Aber meine Maschine, die will ich dir wohl zunächst leihen.«
    »Und Stoffe? Wo

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