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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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zerstreute sich. Bruno saß auf der Futterkiste im Stall und heulte leise vor sich hin. Er rieb sich mit den Handflächen die Augen.
    »Achtung, der Stallbaron!«, warnte Manfred.
    Ein mächtiger Mann mit einem noch mächtigeren Bauch kam heran und fragte: »Was geht hier schon wieder vor?« Sein rotes, rundes Gesicht war durch einen gewaltigen blonden Schnurrbart halbiert. Eine speckige Schirmmütze aus Leder hatte er ins Gesicht geschoben. Er steckte die beiden Daumen hinter einen breiten braunen Ledergürtel, dem er es offenbar verdankte, dass seine Fettgebirge nicht völlig auseinanderflossen.
    »Herr Schiller, wir haben dem Jungen hier das Leben gerettet. Die von der Blütentalstraße waren hinter ihm her«, sagte Alwin.
    »Die von der Blütentalstraße also, diese Kanaken! Verdimmich, Junge, wie siehst du aus?« Er zeigte mit dem ausgestreckten Finger zu einem gefüllten Wassereimer hinüber und sagte: »Da, wasch dich! Aber dann wieder frisches Wasser hinein, hörst du?«
    Brunos Verletzung war unerheblich. Durch Giovannis Schlag war seine Oberlippe ein wenig aufgeplatzt, aber die winzige Wunde hörte bald auf zu bluten.
    »Wir wollen noch Stroh in die Boxen werfen«, sagte Alwin. »Um sechs kommen vier Pferde von der Weide und ab halb sieben geht’s hier richtig rund. Dann trudeln die Bierwagen ein.«
    »Mit Pferden kenne ich mich aus«, sagte Bruno.
    »Kannst helfen«, bot Manfred an.
    So einen Pferdestall hatte Bruno noch nie gesehen. Aufgereiht an einem langen, mit roten Ziegelfliesen ausgelegten Stall, lagen vierundzwanzig Pferdeboxen, zwölf links und zwölf rechts von der großen Tordurchfahrt, die den einzigen Eingang von der Straße her bildete und nach hinten wieder aus dem Stall hinausführte. Über jeder Box war ein Messingschild mit dem eingravierten Namen des Pferdes angeschraubt. Den Boxen gegenüber, an der anderen Seite des Ganges, zur Straße hin, befanden sich Nischen, fast so breit wie die Box und etwa einen Meter tief. In jeder Nischenwand war ein Fenster. An den Wänden hing wohl geordnet Lederzeug für die Pferde. Die Riemen glänzten. Rote und weiße Troddeln waren makellos und ohne Flecken.
    »Ist die Festtagsgarnitur«, erklärte Alwin.
    Zwischen zwei Nischen stand jeweils eine hölzerne Futterkiste. Dunkles Eichenholz mit metallenen Beschlägen.
    »Ich geh rauf«, erklärte Manfred und verschwand über eine steile, rot gestrichene Treppe auf dem Dachboden des Stalles. Er öffnete eine Luke in der Holzdecke und rief: »Achtung!«
    Viele Strohbündel warf er in einen Gang, der sich hinter den Boxen befand.
    »Nimm eine Gabel«, sagte Alwin. »In jede Box kommen zwei Bündel.«
    »Ein wunderbarer Stall!«, sagte Bruno zu Alwin.
    »Stimmt«, bestätigte der. Er nahm einen großen Reiserbesen und fegte den hinteren Gang sauber. »Der Stallbaron behauptet bei jeder Gelegenheit, er wäre kurzsichtig, aber er entdeckt jedes Stäubchen. Ordnung ist für ihn alles.«
    »Und vergiss nicht, ihm zu sagen, dass die ganze Mannschaft hier politisch weit rechts ist«, rief Manfred von oben.
    »Stimmt«, sagte Alwin. »Wenn du hier Land gewinnen willst, dann summe ab und zu ›Treu steht und fest die Wacht, die Wacht am Rhein‹, und schimpfe auf die Franzosen und sage nie etwas gegen den Kaiser.«
    »Auch auf Ebert und die Demokratie muss er schimpfen«, ergänzte Manfred.
    »Und was macht ihr hier?«, fragte Bruno.
    »Wir helfen. Unser Vater hat die Wirtschaft dort an der Ecke von den Barons gepachtet. Irgendwann will er sich selbst eine kaufen. Mein Bruder und ich bekommen unsere Arbeit hier bezahlt. Pro Stunde einen Liter Baron-Pils. Jedes Mal, wenn wir ein Hundert-Liter-Fass zusammengearbeitet haben, kriegt’s unser Vater gutgeschrieben.«
    »Habt ihr denn so viel Zeit?«
    »Wir nehmen sie uns. Ich gehe ins Gymnasium, mein Bruder wird bald aus der Volksschule entlassen. Er will zur Hütte.«
    »Ich werde auch bald entlassen.«
    »Dann müsstest du doch den Manfred kennen.«
    Manfred war inzwischen vom Dachboden heruntergekommen und sagte: »Bist du denn bei Bubi Möller in der Klasse?«
    »Ja, aber ich bin noch nicht lange hier.«
    »Ihr schwätzt und schwätzt herum«, donnerte die Stimme des Stallbarons durch die Gänge. »Wollt ihr die Pferde heute denn gar nicht von der Weide holen?«
    Die Jungen liefen los. Die Weide lag nicht weit von den Stallgebäuden entfernt. Vier schwere Pferde, hellbraun, mit hellen Mähnen und langen Schweifen, warteten schon am Gatter.
    »Nimm die Freia!«, rief

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