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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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viel geschafft hatte wie er. Kritisch betrachtete er Pauls Werk, nahm seine Mütze ab und wischte sich den Schweiß weg. »Du kannst mir nichts vormachen. Das sind nicht die ersten Nieten, die du kloppst.«
    »Nein«, gestand Paul. »Ich habe in der Lehre in Ostpreußen gelegentlich genietet und öfter noch bei Borsig.«
    »Ostpreußen?«, sagte Marek. »Ich komme auch aus dem Osten. Aus Krakau bin ich.«
    »Pole oder Deutscher?«, fragte Paul.
    »Macht das was? Hier zählen die Nieten.« Marek lachte und seine großen gelben Zähne blitzten auf. »Aber wenn du es wissen willst, mein Vater ist vor dem Krieg in den Ruhrpott gekommen. Wir sind Polen und wir bleiben Polen.« Er streckte Paul die Hand hin und Paul schlug ein.
    Als sie um neun Uhr zum Frühstück in der Bretterbude saßen, spürte Paul seine Arme kaum noch. Der Ofen glühte und der Budenjunge hatte eine dunkle Brühe gekocht, die er großspurig als Kaffee bezeichnete. Die Viertelstunde verging viel zu schnell und auch die halbe Stunde Pause am Mittag.
    »Für den ersten Tag hältst du ganz gut mit«, machte Marek ihm Mut.
    Kurz vor Feierabend kletterte Willi Rath noch einmal aufs Gerüst. Er setzte seine Nickelbrille auf, schob den Hut ins Genick und kontrollierte genau die Nietenreihen. Mit einem Stück Ölkreide kreuzte er fünf Nieten an und schnauzte: »Die müssen neu rein. In unserer Werft gibt es keinen Pfusch. Merk dir das, Bienmann! Und ich sag’s dir nur einmal, verstehst du?«
    »Ja, Meister«, sagte Paul und es gelang ihm, seinen aufkommenden Zorn zu unterdrücken. Er sagte auch nicht, dass zwei der angekreuzten Nietenköpfe von Marek geschlagen worden waren. Marek grinste. Willi Rath ging davon.
    »Schmeiß den Lappen rauf, aber steck ihn vorher in Rohöl!«, rief Marek dem Nietjungen zu. Sorgfältig wischte er die gelben Kreuze von vier Nieten ab. »Diese hier ist wirklich nicht in Ordnung«, gab er zu und zeigte auf einen Nietkopf. »Die schlagen wir neu hinein.«
    »Merkt er das nicht?«, fragte Paul.
    »Sollte mich jedenfalls wundern«, grinste Marek.
    Sie hatten an diesem Tag einen Stundendurchschnitt von fünfundfünfzig Nieten geschafft.
    »Auf über siebzig die Stunde müssen wir jeden Tag kommen und wenn das Wetter stimmt, auch auf mehr«, sagte Marek. Er schaute Paul prüfend an und fügte hinzu: »Ich denke, in drei, vier Tagen sind wir so weit.«
    Paul ging zu Fuß nach Hause. Karl, der sonst mit dem Fahrrad fuhr, schloss sich ihm an und schob sein Rad neben sich her. »Na, noch nicht die Nase voll vom Nieten?«, fragte Karl.
    »Ich bin kaputt wie ein Hund, aber ich bin heilfroh, dass ich Arbeit habe«, antwortete Paul. »Übrigens«, er versuchte, Karl den Arm um die Schultern zu legen, ließ ihn jedoch mit einem Schmerzenslaut wieder sinken. »Das verdammte Nieten!«, schimpfte er. »Aber ich werde mich schon daran gewöhnen. Für heute Abend lade ich Resi und dich ein. Kommt rüber zu Reitzaks. Ich gebe eins aus, wegen der Worte, die du mit Willi gesprochen hast.«
    »Ist gut«, sagte Karl. »Wir kommen.«
    Paul und Franziska blinzelten sich zu, als später alle wissen wollten, woher der gute Korn sei, den Paul aus der Kammer hervorzauberte. Sie verrieten nicht, dass sie den Inhalt der beiden Literflaschen in drei Dreiviertelliterflaschen umgeschüttet hatten. Den in jeder Flasche fehlenden Rest hatten sie mit schönem klaren Leitungswasser auffüllen müssen.
    »Das macht kaum ein Schnapsgläschen voll für jede Flasche«, hatte Franziska gesagt. »Das merkt keiner.«
    Mit je einem Faustschlag hatte Paul die Korken in die Flaschenhälse geschlagen. Zwei Flaschen hatten Willi Raths ersehntes »Ja, lass ihn kommen!« gebracht und die dritte Flasche stand auf dem Tisch.
    Die Frauen nippten nur an dem Schnaps. Es schien einen geheimnisvollen Gedankenaustausch in der Straße zu geben, denn bald saßen Mathes und Hermann, Ditz und Leo und noch einige Männer aus der Nachbarschaft in Reitzaks Küche. Die Flasche kreiste und auf jeden kamen zwei, drei kräftige Schlucke.
    Die Kammertür war nur angelehnt. »Was ist mit Bruno?«, fragte Ditz und deutete zur Kammer hin. »Er führt Selbstgespräche.«
    Ziemlich laut drang Brunos Stimme bis in die Küche: »In keiner Not uns trennen und Gefahr.«
    »Er lernt für die Entlassfeier«, sagte Paul.
    »Schön wär’s, in keiner Not uns trennen«, sagte Mathes. »Es rumort mal wieder im Ruhrpott. Die Reichswehr will von Münster her einmarschieren.«
    »Das wird sie nicht wagen«, sagte der

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