Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
Vom Netzwerk:
Wurzeln.«
    »Und jedes zweite Schiff, das dir begegnet, das kennst du schon von ferne, weißt, wer darauf fährt, wo es herkommt, wer der Eigner ist, ob eine unverheiratete Tochter an Bord ist, vielleicht sogar, wie viele Schulden auf dem Pott liegen.«
    »Ja«, gab Jakob zu. »Wenn du es so siehst, dann stimmt’s. Man steckt in einem Geflecht von Bekannten und Freunden. Vielleicht ist es das, was du mit Wurzeln schlagen meinst.«
    »Und dann ist da der Junge. Der kommt in sechs Wochen aus der Schule. Der hat doch niemanden außer mir.«
    Jakob blinzelte Paul zu und sagte: »Und dann ist da noch eine mit langen braunen Haaren und mit einem gescheiten Kopf unter der Frisur.«
    »Hör mir auf mit Franziska«, sagte Paul verdrossen. »Die hat Flausen im Kopf. Die tritt bis in die Nacht hinein ihre Nähmaschine, bügelt, stichelt, probiert an. Eine Näherin hat sie schon eingestellt. Sie kennt nur noch Stoffe und Schnittmusterbogen. Von mir will sie jedenfalls nichts wissen.«
    »Hat vielleicht einen andern im Sinn«, neckte ihn Jakob.
    Paul dachte an die blassblauen Briefe aus Holland und auch daran, dass Franziska gelegentlich geheimnisvolle Reisen nach Emmerich unternahm. Er antwortete nicht mehr, sondern kippte hastig seinen Schnaps.
    »Und die Werft?«, fragte Jakob. »Ist auf der Werft auch kein Platz für dich? Da ist doch genug Arbeit. Ich habe über eine Woche warten müssen, bis sie an meinen Havarieschaden herangingen, und dabei habe ich den Willi Rath noch kräftig schmieren müssen.«
    »Was meinst du mit schmieren?«
    »Jeder hat seine schwache Stelle. Wenn du den Willi Rath richtig ansprichst, dann tut er ’ne Menge für dich. Du musst eben nur genau wissen, wo er ansprechbar ist.« Jakob stand auf. »Komm, ich zeige dir, womit du ihn herumkriegen kannst.« Er öffnete eine Schiebetür, die vom Wohnzimmer in das Schlafzimmer führte. Der Raum war niedriger als die Kammern in der Blütentalstraße, aber sonst war er von einem Schlafzimmer an Land durch nichts zu unterscheiden. Jakob ging zielstrebig auf ein Fenster zu. Das hatte Übergardinen bis zum Boden. Jakob zog die Vorhänge beiseite und schob an der Holzvertäfelung unter dem Fenster. Die glitt auf und gab eine Eisentür frei. Jakob öffnete sie, duckte sich und schlüpfte in eine dahinter liegende Höhlung. Er winkte Paul zu und der folgte ihm.
    Der düstere Raum war so niedrig, dass Paul mit dem Kopf gegen die Decke stieß. »Wie im Pütt!«, schimpfte er und rieb sich die Stirn.
    »Augenblick«, sagte Jakob, riss ein Streichholz an und entzündete eine Petroleumlampe.
    Pauls Augen gewöhnten sich allmählich an das trübe Licht. Aus dem Dunkel wuchs ein Gewirr von dünnen Kupferrohren und blanken Kesseln.
    »Na?«, fragte Jakob. »Was sagt du nun?«
    Paul sagte gar nichts. Er hatte keine blasse Ahnung, was das für ein Gerät war.
    »Mensch, Paul, so etwas habt ihr doch in Ostpreußen sicher auch.«
    Paul schüttelte den Kopf. »Nie gesehen«, behauptete er.
    »Dann war dein Vater ein vorsichtigerer Mann, als ich einer bin. Hat nicht einmal seinen Söhnen gesagt, woher man billig einen guten Schnaps bekommt.«
    »Eine Brennerei!«, rief Paul. »Eine Schwarzbrennerei!«
    »Pst!«, fauchte Jakob. »Leise! Brennen ist ohne Lizenz überall verboten.«
    »Und woher bekommst du die Kartoffeln, aus denen du den Schnaps machst?«
    »Kartoffeln?«, lachte Jakob. »Bin ich ein Erdferkel? Hab ich es nötig, Kartoffeln auszubuddeln und irgendeinen Fusel herauströpfeln zu lassen? Nein, Freundchen, schau her!« Er griff in einen Jutesack, der prall gefüllt war, und hob mit beiden Händen Zucker heraus, den er in dünnem Strahl wieder in den Sack zurückrieseln ließ. »Das ist ein anderer Rohstoff. Einen herrlichen Schnaps kannst du daraus brennen.«
    »So viel Zucker auf einem Haufen habe ich zuletzt in Frankreich gesehen«, staunte Paul.
    »Komm ich nach Holland oder komm ich nicht nach Holland? Warum hat die Frau Reitzak wohl im Krieg die Franziska nach Holland geschickt, was? Da kannst du für gute Gulden alles kaufen. Auch Zucker, so viel du nur willst.«
    »Na ja«, sagte Paul und kroch durch das Loch ins Schlafzimmer zurück. »Aber was hat das alles mit Willi Rath zu tun?«
    »Na, mit seiner schwachen Stelle hat es etwas zu tun.« Jakob kletterte Paul nach. Er trug in jeder Hand eine gefüllte Literflasche, warf sie auf das Ehebett und verschloss sorgfältig wieder die Tür und die Verkleidung zu der geheimen Brennkammer.
    Im Wohnzimmer stellte er

Weitere Kostenlose Bücher