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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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fangen wollte.«
    »Spatzen fangen?«
    »Ja, Manfred, ganz einfach. Ich werde schönen frischen Pferdemist in Cremmes’ Hühnerstall ausstreuen. Das Stalltor steht den Tag über auf. Ich binde eine lange Schnur an das Tor, die Spatzen fliegen in den Stall, ich schlage die Tür zu.«
    »Und die alte Cremmes schlägt dir mit der Bratpfanne eins aufs Haupt!«, lachte Manfred.
    Bruno sagte: »Du hast keine Ahnung, mein Lieber! Erstens liegt der Stall hinten am Anbau und Frau Cremmes kann nicht um die Ecke schauen, zweitens schläft sie sonntags von eins bis drei.«
    Manfreds Neugier war geweckt. »Und was willst du mit den Spatzen anfangen?«
    »Man kann eine Suppe davon kochen. Sie werden gerupft und ausgenommen. Das gibt, sage ich euch, eine feine fette Suppe.«
    »Du spinnst«, behauptete Alwin wieder.
    »Ihr werdet sehen«, beharrte Bruno. »Nächsten Sonntag gehe ich auf Spatzenjagd.«
    »He, ihr da oben! Was treibt ihr auf dem Heuboden?«
    »Der Bilarski ist da«, flüsterte Alwin und rief dann hinunter: »Ach, Herr Bilarski, der Bruno hat uns erzählt, dass er Spatzen fangen und Suppe kochen will.«
    »Sehr lecker«, lobte Bilarski. »Aber haben muss man sie erst.«
    Sie stiegen hinunter und riefen Bilarski zu: »Eine gute Nachtwache!«
    Bilarski knurrte etwas vor sich hin und begann seinen Rundgang.
    Als die Jungen draußen vor der Tür standen, zeigte Alwin auf die Kirchuhr und sagte: »Schon halb zehn und noch fast hell.«
    »Ich muss nach Haus«, sagte Bruno erschrocken, aber Alwin kam dicht an ihn heran und hauchte ganz leise: »Spatzen ist spinnig. Aber Fische! Viele Fische!«
    »Fische?« Bruno tippte gegen seine Stirn. »Wenn du am Rhein ohne Angelschein fischst, dann haben sie dich schnell auf der Polizeiwache.«
    »Handgranaten!«, zischte Alwin. »Handgranaten ins Baggerloch. Das ist etwas anderes als Spatzenbrust und Spatzenschenkel.«
    »Jetzt spinnst du«, rief Bruno und rannte davon.

24
    Der Frühherbst war sonnig und warm. Bruno wollte mit Manfred, Alwin und einigen anderen Jungen übers Wochenende auf Fahrt gehen, wie sie es nannten. Alwin hatte von seinem Biologielehrer gehört, dass irgendwo am Rande der Schwarzen Heide seltene Pflanzen wuchsen und sogar ein Königsfarn, der sonst in der ganzen Gegend nicht vorkam. Den wollten sie sehen.
    Bruno fand es schön, mit der Gruppe durch Wald und Heide zu streifen, abends das Zelt aufzuschlagen. Bis in die Nacht hockten sie am Feuer, sangen, erzählten, schlürften einen bitteren Tee, den Alwin aus wilden Kräutern braute.
    Als Paul sagte: »Hast du nicht Lust, am Sonntag mit Franziska und mir zum Rhein zu gehen? Wir wollen schwimmen«, da antwortete er: »Ich bin mit meinen Freunden verabredet. Vielleicht ein andermal.«
    »Willst du etwa mit Paul allein zum Baden?«, fragte Frau Reitzak besorgt.
    Franziska lachte und gab keine Antwort.
    »Nehmt doch Karl und Resi mit«, schlug Bruno vor. »Die Reichstagswahl ist längst vorbei. Jetzt hat er sicher wieder Zeit.«
    »Karl hat selten Zeit«, sagte Paul. »Er ist ziemlich enttäuscht, dass die SPD im Juni so viele Stimmen verloren hat. Jetzt muss er doppelt so viel für seine Partei arbeiten, meint er.«
    »Manfreds Vater ist auch nicht zufrieden«, sagte Bruno. »Das Zentrum hat schlecht abgeschnitten.«
    Frau Reitzak sagte: »Kein Wunder. Die Zeiten werden und werden nicht besser. Nicht genug zu essen, das Geld ist von Monat zu Monat weniger wert, das treibt die Leute den Radikalen in die Arme.«
    »Der Hermann und der Mathes, das sind Leute mit Zukunft«, brummte Herr Reitzak zwischen zwei Zügen an seiner Pfeife.
    »Da sei Gott vor!«, rief Frau Reitzak.
    Paul dachte weniger an die Zukunft, ihn interessierte die Gegenwart. »Na, Franziska, wie ist es?«, fragte er. »Gehst du morgen auch mit mir allein zum Rhein?«
    »Vielleicht«, antwortete sie. »Wer weiß, wie lange das gute Wetter noch anhält. Ich werde es mir überlegen.«
    Frau Reitzak kniff die Lippen zusammen, sagte aber nichts mehr dazu.
    Am Sonntag war Paul in die Frühmesse gegangen. Gleich nach dem Frühstück trugen Franziska und er die Räder aus dem Keller und radelten los und fuhren über den Rheindamm bis weit hinter die Brücke.
    Häuser, Zechen und Eisenhütten waren zurückgeblieben. Weit und grün erstreckte sich die Rheinaue. Irgendwo in der Ferne zerflossen Strom und Land im Dunst. Obwohl der Fluss wenig Wasser führte, wälzte er sich gewaltig dahin, dem nahen Holland zu. In der Gegend der Brücke hatten sich viele

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