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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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schwamm zu ihr herüber.
    Die Knie waren ihm weich, als er durch das Uferwasser herankam.
    Ohne auf ihre Schuhe zu achten, lief sie ihm ein paar Schritte durch das seichte Wasser entgegen.
    »Du bist ein leichtsinniger Mensch, Paul Bienmann«, sagte sie, zog seinen Kopf zu sich heran und küsste ihn. Bevor er sie jedoch packen konnte, löste sie sich von ihm, rannte zu ihrem Fahrrad und fuhr los.
    »Hast du das auch in Holland gelernt?«, rief er ihr nach. Er beeilte sich und zerrte die Kleider über den nassen Körper, hatte aber keine Chance, sie einzuholen.
    »›Lass mir Zeit‹, hat sie gesagt«, brüllte er laut hinaus. »Lass mir Zeit.«
    »Ein Verrückter«, sprachen die Badegäste unter der Brücke zueinander.

25
    Zuerst war es eine Spielerei, aber im Laufe der Wochen wurde immer mehr Ernst daraus.
    Gelegentlich kam Kaplan Klauskötter zur Feierabendzeit in Steiners Werkstatt. Er liebte den Geruch des frischen Holzes, redete dann mit Bruno und Steiner und erzählte auch von dem Leben auf dem elterlichen Bauernhof in Westfalen.
    »Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen, Kaplan zu werden?«, fragte ihn Bruno eines Nachmittags.
    Klauskötter lachte und erzählte: »Ich war erst fünf Jahre alt, da kam eines Tages der Bischof aus Münster zur Firmung in unsere Gemeinde. An der Dorfgrenze wurde er im Festzug abgeholt. Den Pferden waren bunte Bänder in die Mähnen und Schweife geflochten worden und die schönste Kutsche im Dorf stand geschmückt und vierspännig bereit. Kurz bevor der Bischof einstieg, ist er an den Menschen vorbeigegangen, die sich zu seinem Empfang aufgereiht hatten. Den Kindern zeichnete er mit dem Daumen ein Segenskreuz auf die Stirn und wechselte mit den Müttern und Vätern das eine oder andere Wort.
    Zu mir beugte er sich herunter und fragte: ›Na, Jüngsken, was willst du denn mal werden, wenn du groß bist?‹ Da habe ich laut gerufen und meine Stimme war damals hell und durchdringend: ›Genau wie du. Bischof will ich werden!‹ Da hat er gelacht und gesagt: ›Hast du denn den Heiland so lieb?‹ Und ich darauf: ›Nee, aber die Kutsche mit den vier Pferden.‹ – ›Jüngsken, Jüngsken‹, hat er leise und sehr ernsthaft gesagt, ›das ist auf die Dauer eher lästig mit all dem Brimborium.‹ Aber dann hat er im Weggehen laut in das Gelächter der Menschen hineingerufen: ›Dann soll er erst mal als Kaplan anfangen, nicht wahr?‹«
    »Aber das kann doch nicht alles gewesen sein«, bohrte Bruno.
    »Ganz sicher nicht. Aber es ist schwer zu erklären. Da war unser alter Pfarrer im Dorf. Zufällig bin ich als Junge mal im Pfarrhaus in sein Schlafzimmer gekommen. Weiß getünchte Wände, ein schmales Holzbett, ein großes Kreuz an der Wand, eine blecherne Waschschüssel auf einem Ständer, eine Kniebank und ein paar Bücher. Das war die ganze Einrichtung. Er war ein stiller, frommer Mann. Die Bauern hätten lieber einen gehabt, der von der Kanzel mit Feuerwort und Flammenschwert heruntergedonnert hätte, aber ich mochte ihn gut leiden und er mich wohl auch. Als ich sechzehn war, da habe ich ihn mal gefragt, ob es schwer sei, Pastor zu sein. Da hat er mich lange angeschaut und geantwortet: ›Es ist schwer, Junge, keine eigenen Kinder zu haben.‹
    Im Gymnasium hatte ich einen Freund, für den stand es felsenfest, dass er als Pater in die Indianermission gehen würde. Das war ein Kerl, sage ich dir, wie ich immer einer sein wollte: stark, fröhlich, stets zu irgendeinem Unsinn aufgelegt.«
    Kaplan Klauskötter verstummte und sagte schließlich: »Ich glaube, es war bei mir kein Ruf mit Blitzschlag und Erscheinungen, sondern eher eine ständig wachsende Gewissheit. Jedes Mal, wenn ich unsicher geworden bin, habe ich versucht, die Stille zu suchen, ein paar Stunden, ein oder zwei Tage vielleicht. Ich dachte mir: Gott redet nicht im Lärm, nicht im Getriebe. In der Wüste haben die Menschen seine Stimme gehört.«
    »Wüstentage«, sagte Bruno.
    »Ja, ein sehr gutes Wort dafür.«
    »Ich wünschte, ich könnte Latein«, sagte Bruno.
    Der Kaplan war klug genug, nicht nach dem Warum zu fragen. Bruno hätte darauf auch nicht antworten können.
    Erst spielerisch, dann aber regelmäßiger und schließlich mit Ernst und Eifer büffelte Kaplan Klauskötter mit Bruno dreimal die Woche Latein: »Amo, amas, amat.« Er war stolz auf die schnellen Fortschritte seines Schülers.
    Bruno verheimlichte dem Lehrer allerdings, dass Alwin ihm auf die Sprünge half, wenn er irgendetwas nicht verstanden

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