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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Menschen gelagert. Aber je weiter die beiden den Strom hinauffuhren, desto einsamer wurde es.
    Nicht weit vom Wasser entfernt entdeckte Paul eine flache, grasbewachsene Mulde. Am Rande stand eine Weide, die durch den steten Südwestwind niedergebeugt war und Schatten spendete. Dort breiteten sie ihre Decken aus.
    »Du bist braun wie ein Neger«, sagte Franziska.
    »Ich habe den ganzen Sommer im Freien gearbeitet. Es war manchmal in dem Schiffsrumpf wie in einem Backofen. Aber was soll’s? Ich verdiene ganz gut und irgendwann wird mich der Willi Rath schon von den Nieten erlösen.«
    »Und dann?«
    »Hoffentlich komme ich in die Schlosserei. Ich habe dann endlich mal wieder mit Motoren und Maschinen zu tun. Die eintönige Arbeit in der Nietkolonne gefällt mir auf die Dauer nicht.«
    Sie nahm ihre Brille ab und steckte sie in den Badebeutel. »Dreh dich um«, bat sie. »Ich will mir meinen Badeanzug anziehen.«
    Er ging ein Stück auf das Ufer zu. Er warf flache Steine geschickt über das Wasser. Hier am Gleithang des Stromes gab es nur einen sanften Wellengang und die Steine hüpften in immer kleineren Sprüngen fünf-, sechsmal, ehe sie versanken.
    »Los!«, rief Franziska und rannte an ihm vorbei ins Wasser.
    Der Grund fiel nur allmählich ab und sie liefen ein ganzes Stück nebeneinanderher ins tiefere Wasser hinein, bis sie endlich losschwammen.
    Paul sah, dass Franziska in ruhigen, kräftigen Zügen vorwärtsglitt, und er musste sich anstrengen, nicht zurückzubleiben.
    »Wo hast du das gelernt?«, schrie er, denn er wusste, dass die meisten Frauen in der Blütentalstraße niemals Gelegenheit gehabt hatten, zum Schwimmen zu gehen.
    »In Holland!«, rief sie zurück.
    Sie schwammen eine Weile und legten sich später in die Sonne.
    »Deine Haut ist weiß«, sagte er.
    »Ich muss mich einölen«, erinnerte sie sich. Sie rieb sich das Öl auf die Haut und bat ihn dann: »Hilf mir! Auf dem Rücken bekommt man besonders leicht einen Sonnenbrand.«
    Der Badeanzug war am Rücken nur wenig ausgeschnitten. Sie zog ihn bis zu den Schulterblättern herunter.
    Er verrieb das Öl ganz langsam auf ihrer Haut, aber schließlich blieb nichts mehr einzureiben. Vorsichtig fuhr er mit seinem Finger über die Wirbelsäule ein wenig tiefer. Wild klopfte sein Herz dabei.
    Sie griff seinen Unterarm und schob ihn beiseite. »Lass das bitte, Paul«, sagte sie. »Ich werde sonst nach Hause fahren und nie mehr mit dir zum Schwimmen gehen.«
    »Was hast du gegen mich?«, fauchte er aggressiv. »Ist dir ein Nieter nicht gut genug?«
    Er starrte sie an. Sie hatte die Brille noch nicht wieder aufgesetzt. Der braune Stern in ihren Augen funkelte. Wütend drehte er ihr den Rücken zu. Eine Weile lagen sie stumm so weit voneinander entfernt, wie es die Decke gerade erlaubte. Dann spürte er ihren Finger, wie er von seinem Haaransatz ganz langsam über sein Rückgrat glitt.
    »Lass mir Zeit, Paul«, sagte sie dabei. »Du weißt, dass ich die Schneiderei hochbringen will.«
    »Und was hat das mit uns zu tun?«, fragte er.
    »Ich war fünf Jahre in Nimwegen bei meiner Tante. Tante Billa ist eine hervorragende Schneiderin. Sie näht nicht irgendwas zusammen, nein, sie schaut sich die Kundinnen an und macht ihnen dann Vorschläge für Stoff und Schnitt. Sie bezieht mehrere Modejournale, eins sogar aus Paris, aber daran orientiert sie sich nur. Sie macht die Entwürfe ganz allein.« Franziska lachte auf. »Stell dir vor, ihre Kundinnen sind fast nur kleine Handwerkerfrauen und die laufen in Modellkleidern herum.«
    »Und was hat das mit uns zu tun?«, wiederholte er.
    »Tante Billa hat mit neunzehn Jahren geheiratet. Im Laufe von sechs Jahren hat sie fünf Kinder bekommen. Genäht hat sie, bis die ersten Wehen einsetzten, und eine Woche nach der Geburt hockte sie bereits wieder hinter ihrer Maschine. Für eine Hilfe im Haus hat es nie gereicht. Na, gelegentlich sprang ich ein, aber sie hat es nicht geduldet. Du sollst von mir lernen, was du sonst nie lernst, hat sie oft gesagt und mir bis in die Nächte hinein gezeigt, wie eine gute Schneiderin näht und auf welche Weise ein Schnittmuster zu entwerfen ist.«
    »Tolle Tante«, spottete er.
    »Das ist sie. Aber richtig hochgekommen ist sie nie. Ihr Mann, die Kinder, der schwierige Haushalt und diese Art von Kunden, die haben sie stets auf den Boden gedrückt.«
    »Und du willst deine Flügel ausbreiten und hoch aufsteigen und auf jeden Fall willst du erfolgreich werden«, sagte er

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