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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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bitter.
    »Unglücklich war Tante Billa nicht«, antwortete sie leise. »Aber ich finde es nicht gut, dass Onkel Harry, ein kleiner Angestellter auf dem Meldeamt, ganz für seinen Beruf da ist, während das Talent meiner Tante sich nicht entfalten kann.«
    »Sie ist schließlich eine Frau«, sagte Paul spöttisch. »Küche, Kirche, Kinder.«
    »Und damit Schluss deiner Gedanken«, fuhr sie ihn an. »Du denkst, wie die Kaninchen laufen. Sie hoppeln stets in ihren ausgetretenen Pfaden. Jeder neue Weg erschreckt sie.«
    Paul hatte seinen Groll bereits vergessen, lachte sie an und neckte sie: »Am besten gehst du ins Kloster. Da sind die Frauen unter sich und kein Mann kann sie unterdrücken.«
    »Du wirst es nicht glauben, aber manchmal habe ich wirklich so etwas gedacht.«
    »Eine Evangelische ins Kloster! Das wär mal was ganz Neues.«
    Sie hatte ihre Arme um die Knie gelegt und schaute über den Strom. »Etwas haben der Padre und sein Kaplan mir beigebracht«, sie stockte, fuhr aber dann fort: »Und auch du ein wenig.«
    »Nämlich?«, fragte er.
    »Nämlich, dass es unter den Katholiken genauso gute und miese Christen gibt wie bei uns.«
    »Das sag nur nicht deiner Mutter«, warnte er.
    »Du, meine Mutter kann auch dazulernen. Neulich hat sie zu mir gesagt: ›Warum kann unser Leo nicht so sein wie der Padre?‹ Und als ich sie fragte, was sie damit meinte, da hat sie doch tatsächlich gesagt: ›Wenn der Bruno aus der Bibel vorliest, dann merkt man, dass er mit dem Herzen liest.‹«
    »Sie ist eine kluge Frau, deine Mutter.«
    Sie schwiegen. Plötzlich schrie er: »Juhu, wenn die Mathilde Reitzak erst die Katholiken entdeckt, dann habe ich ja noch eine Chance.« Er sprang auf und sagte entschlossen: »Ich mache die Probe darauf. Ich schwimme quer über den Strom auf die andere Rheinseite und wieder zurück. Wenn das gut gelingt, dann werde ich so lange warten, bis du endlich Ja sagst.«
    »Ja wozu?«, fragte sie und stellte sich dumm.
    »Ja zu uns«, rief er und rannte ins Wasser.
    Sie glaubte nicht, dass er es ernst meinte und wirklich auf die andere Seite wollte. Während er hinausschwamm, zog sie sich an. Sie schaute ihm nach. Er war schon ein gutes Stück im Strom. Er schwamm schräg gegen die Strömung, damit er nicht zu weit abgetrieben wurde.
    Sie schrie über das Wasser hin: »Paul, lass den Unsinn! Die Strömung, die Wirbel … Und drüben sind die belgischen Soldaten.« Sie wartete eine Weile, aber er zog stur seine Bahn weiter.
    »Die Soldaten!«, schrie sie voller Entsetzen. »Die Soldaten!«
    Als sie sah, dass er sich nicht zurückhalten ließ, flüsterte sie: »Die Belgier schießen auf jeden, der ans andere Ufer will.«
    Der Rhein war an dieser Stelle wohl mehr als vierhundert Meter breit. Die volle Kraft des Stroms prallte gegen das gegenüberliegende Ufer und bildete dort Querströmungen und Wirbel, aber Paul war ein ausdauernder Schwimmer und ihn packte keine Panik, wenn ein Wirbel ihn zu drehen versuchte. Er schlug dann mit der flachen Hand auf das Wasser und durchschwamm die gefährlichen Stellen.
    Am anderen Ufer angekommen, rannte er mehr als zweihundert Meter stromaufwärts, damit er von der Strömung nicht zu weit in Richtung Holland abgetrieben wurde. Dann stürzte er sich wieder in die Wellen.
    Wohl sechzig Meter war er schon geschwommen, als Franziska am anderen Ufer auf der Deichkrone zwei Männer auftauchen sah. Noch schienen sie den Schwimmer nicht entdeckt zu haben, aber schon wenige Minuten später riss einer der Männer sein Gewehr von der Schulter. Franziska sah den Feuerfunken an der Gewehrmündung und nach kurzer Verzögerung hörte sie den scharfen Knall des Schusses.
    Paul versuchte zu tauchen. Lastkähne wurden von einem Schlepper stromauf gezogen. Immer wieder sah Franziska Pauls Kopf kurz auftauchen. Er schwamm auf die Kähne zu.
    Auch der zweite Soldat hatte zu schießen begonnen, aber es schien Franziska, als ob die beiden die Gewehrläufe schräg in die Luft hielten und gar nicht ernsthaft auf Paul zielten.
    Paul trieb gefährlich nah an den Lastkahn heran. Er versuchte, in schnellen Zügen zwischen dem Schlepper und dem ersten Lastkahn hindurchzuschwimmen. Franziska zitterte, denn der Abstand zwischen Schlepper und Kahn war nur gering. Aber Paul schaffte es. Sie sah, wie er sich an der Eisenleiter festklammerte, die an Bord führte. Er ließ sich weit den Fluss hinauf ziehen, bis er aus der Hauptströmung heraus war. Dann stieß er sich ab, trieb mit dem Strom und

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