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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Paul leise. »Die Toten verfolgen den Padre geradezu.«

23
    Bruno empfand das Angebot, bei Steiners in der Schreinerei eingestellt zu werden, wie die Befreiung aus einer Verbannung. Am selben Nachmittag noch stellte er sich bei Steiner vor. Als er losgezogen war, sagte Frau Reitzak: »Noch niemals hat er sich so gründlich gewaschen und gekämmt. Und sein Kostgeld, hat er gesagt, das kann er in Zukunft selber bezahlen.«
    »Hoffentlich rennt er nicht wieder davon, wenn er erfährt, dass Steiner auch Tote unter die Erde bringt«, sagte Paul.
    Aber seine Sorge war überflüssig. Bruno kam fröhlich wie lange nicht zurück und rief: »Steiner hat mir die Werkstatt gezeigt. Hell und groß ist sie. Es riecht wie bei euch zu Hause, Paul. Nach Holz und Harz. Und die Sakristei kenne ich ja schon.«
    »Die Sakristei?«, fragte Paul.
    »Manfred ist Messdiener. Der hat mich öfter mitgenommen.«
    »Was hat das mit Steiner und dir zu tun?«
    »Na, er ist doch auch Küster, und wenn ich ihm zur Hand gehen soll, dann überall.«
    »Auch bei den Bestattungen?«, fragte Paul vorsichtig.
    Bruno stutzte einen Augenblick, dann antwortete er unbefangen: »Warum soll ich dabei nicht helfen? Steiner hat gesagt, die asiatische Grippe rafft viele dahin. Er hat allein letzten Winter drei Dutzend Grippetote unter die Erde gebracht. Ich meine, es ist gut, wenn die Toten wie Menschen beerdigt werden.«
    Nach einer Pause fuhr er fort: »Anders als bei den Kurpeks. Meine Mutter, mein Vater, irgendwo sind sie verschwunden und unseren Wilhelm, den haben sie verscharrt.« Er tastete nach dem Brustbeutel und sagte: »Ich gehe rüber in den Stall.«
    »Bleib nicht zu lange. Du musst früh in die Federn, damit du morgen ausgeschlafen bist.«
    »Ich komme bald wieder«, versprach Bruno.
    Aber daraus wurde nichts. Erst tollten Manfred und er auf dem Heuboden herum, kletterten bis unter den First, ließen sich dann drei Meter tief ins Heu fallen und versteckten sich, als sie hörten, dass Alwin die Treppe heraufstieg.
    Bruno war in der Nähe des Giebels tief ins Heu geglitten.
    Alwin hatte Manfred bald entdeckt. Sie suchten Bruno, doch der wühlte sich nur tiefer in das Loch hinein.
    Mit einem Mal stieß er auf einen harten Gegenstand. Er schob das Heu beiseite und tastete mit den Händen danach. »Eine Kiste«, schrie er. »Hier bin ich! Hier, am Giebel!«
    Die Brüder fanden ihn und rutschten zu ihm in die Tiefe.
    »Hier«, sagte Bruno, »eine Kiste. Ein Schatz vielleicht.«
    »Du spinnst«, erwiderte Alwin. »Wir schaffen sie ans Licht.«
    »Leise«, flüsterte Manfred. »Wer weiß, was drin ist.«
    Die Kiste war schwer. Als sie oben auf dem Heu unter einem Dachfenster stand, erkannte Bruno sofort, was das für eine Kiste war. Er hatte solche Kisten in Ostpreußen und bei den Straßenkämpfen in Berlin oft gesehen.
    »Handgranaten!«, sagte er. Er klappte die Eisenbügel des Deckels hoch und öffnete die Kiste. Stielhandgranaten lagen fein säuberlich verpackt in der obersten Schicht. Im Deckel selbst war ein flacher Pappkarton festgeheftet.
    »Die Zünder«, sagte Bruno. »Bevor man den Auslöser herausreißt, muss der Zünder hinein.«
    »Und dann?«, fragte Manfred.
    »Dann zählst du langsam einundzwanzig, zweiundzwanzig und dann nichts wie weg mit dem Ding.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Alwin erstaunt.
    »Hab ich oft genug gesehen. Mein Bruder hat in Berlin wenigstens zehnmal eine Handgranate geworfen. Er schaffte glatt fünfzig Meter. Wilhelm hatte noch zwei davon im Gürtel stecken, als er erschossen wurde.«
    »Im Gürtel?« Alwin nahm eine Handgranate aus der Kiste und schob den Stiel in den Hosenbund. »So macht man das?«, fragte er.
    Aber Bruno antwortete ihm nicht.
    »Wer mag die hier versteckt haben?«, fragte Manfred.
    »Der Bilarski behauptet, die Kutscher und die Beifahrer, das wären Leute von ganz rechtsaußen. Radikal wären die«, sagte Bruno.
    »Wissen wir«, stimmte Alwin zu. »Deshalb will mein Vater ja so schnell wie möglich aus dem ›Dicken Pferd‹ heraus. Er ist ein Zentrumsmann und es passt ihm gar nicht, dass die Rechten das ›Dicke Pferd‹ jetzt zu ihrem Stammlokal gemacht haben.«
    »Aber der Bilarski steht ganz links«, gab Bruno zu bedenken. »Vielleicht hat der …«
    »Wieso ist der Bilarski links?«, fragte Alwin verblüfft.
    »Er pfeift die Internationale und hat Angst, dass ihn jemand hört.«
    »Raffiniert«, sagte Alwin. »Ein Spartakist versteckt Waffen im Nest der Rechten. Aber ich glaub das

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