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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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das.«
    Alwin wollte einwenden, dass die Juden in bestimmte Berufe gedrängt worden seien. In der Schule hatte er gehört, dass Juden früher weder ein Handwerk ausüben durften noch Land erwerben konnten, um Bauern zu sein. Und weil im Mittelalter den Christen das Geldverleihen gegen Zinsen verboten war, deshalb übernahmen Juden dieses Geschäft.
    »Die Juden sind doch nicht alle reich«, sagte Manfred. »Denkt doch an den Isaak Diamant. Der kommt jedes Jahr mit seinem Bauchladen und verkauft Knöpfe und Klammern.«
    »Große Brummer und kleines Ungeziefer«, stieß Hermann gehässig hervor. »Der Jude piekt uns im deutschen Pelz.«
    Der Stallbaron wechselte das Thema und sagte: »Heute war der letzte Tag, an dem straffrei Waffen abgegeben werden konnten. Habt ihr etwas davon gemerkt?«
    »Ja«, sagte Bruno. »Ich bin heute Morgen mit Steiner losgezogen. Wir haben einen Sarg mit der Handkarre in die Siedlung gebracht. Auf dem Markt lag ein ganzer Berg Karabiner und Seitengewehre. Sogar Handgranaten sind abgegeben worden.«
    »Raffiniert eingefädelt«, brummte der Stallbaron. »Erst alle Waffen einsammeln und dann können sie mit unserem Volk machen, was sie wollen. Wehrlos ist dann der Mann auf der Straße.«
    Dann sagte der Stallbaron: »Der Hermann und ich, wir müssen noch ins ›Dicke Pferd‹ zu unseren Parteigenossen. Heute Abend kommt der Oberst. Ihr wartet ja sicher, bis der Bilarski kommt.«
    Da stimmten die Jungen eifrig zu.
    »Wer ist eigentlich dieser Oberst?«, wollte Bruno von den Brüdern wissen. Die schauten sich an, zuckten die Achseln, aber dann sagte Alwin: »Maximilian Deisius heißt er. Ist ein großes Tier für die Kutscher, Gruppenleiter oder so was. Er befiehlt und sie gehorchen. Gefolgschaft nennen sie das. Alle naselang reist der Oberst nach München zu dem Hitler.«
    »Ist das alles?«, fragte Bruno.
    Manfred druckste herum. Schließlich sagte er: »Zeig uns noch mal das Foto!«
    »Das Foto?«
    »Na, das von dem Offizier aus Berlin.«
    Bruno nahm es vorsichtig aus dem Brustbeutel. Manfred hielt es ins Licht. Er tuschelte mit Alwin. Dann sagte Alwin: »Der Oberst gleicht dem Mann auf deinem Bild. Er könnte es sein. Vielleicht. Aber das Foto ist viel zu unscharf, um Genaues zu sagen.«
    »Wie seid ihr darauf gekommen?«, fragte Bruno.
    »Die Narbe«, sagte Manfred. »Alwin ist die Narbe an der Schläfe aufgefallen.«
    »Ich werde es ihm heimzahlen«, rief Bruno erregt.
    »Wart’s ab«, rief Alwin. »Der läuft dir nicht weg. Er ist ein Verwandter der Frau Baron. Dort in ihrem Haus in der Mommsenstraße wohnt er auch. Sei vorsichtig und überstürze nichts. Stell dir vor, er ist es gar nicht, dann gibt es ein riesiges Theater.«
    Bruno beruhigte sich allmählich.
    »Frag doch den Hermann Cremmes«, schlug Manfred vor. »Der kennt den Oberst gut.«
    »Woher wisst ihr das alles?«, fragte Bruno.
    »Wenn wir Vater beim Bedienen der Gäste helfen, verstopfen wir uns nicht die Ohren«, sagte Manfred.
    »Die Theke ist manchmal wie ein Beichtstuhl«, lachte Alwin. »Aber jetzt will ich sehen, ob die Waffen noch oben sind.«
    Während Manfred aufpassen und ein Signal geben sollte, sobald Bilarski erschien, krochen Alwin und Bruno ins Heu und suchten nach den Kisten.
    Sie waren noch in ihrem Versteck. Wem auch immer die Waffen gehörten, er hatte die Frist zur Abgabe in diesem November verstreichen lassen.
    In den folgenden Wochen warf Bruno immer wieder des Abends einen Blick in das Gasthaus »Zum dicken Pferd«. Den Oberst jedoch sah er nicht. Sosehr er auch wünschte, sich Klarheit zu verschaffen, so war er doch jedes Mal erleichtert, dass er den Oberst nicht antraf. Irgendwie fürchtete er sich, den Offizier aus Berlin hier zu entdecken. Schließlich gab er die Besuche im »Dicken Pferd« mehr und mehr auf und verdrängte zeitweise die Gedanken an die Nacht auf dem Platz in Berlin völlig.

26
    Paul fragte den Stallbaron, ob er an ein paar Abenden in der Schmiede arbeiten dürfe, und der erlaubte es großzügig. »Einem Landsmann kann ich schlecht etwas abschlagen«, sagte er.
    »Landsmann?«
    »Ja, ich stamme aus Ortelsburg«, sagte der Stallbaron.
    »Da habe ich bei Pilkow in der Schlosserei gelernt!«, rief Paul überrascht.
    »Verdimmich, die Welt ist klein, Paul Bienmann. Aber was willst du in der Schmiede?«
    Paul zog ein silbernes Dreimarkstück aus der Tasche und sagte: »Ich habe für teures Geld von Marek, meinem Arbeitskollegen, diesen Silbertaler gekauft. Er ist von 1890.« Er

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