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Zeitbombe Internet

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Titel: Zeitbombe Internet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fischermann
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alleine kann er das nicht. Auch deshalb ist Zimmermann nach Berlin gekommen.
    Â»Hier stehe ich und kann nicht anders. Ich bitte Euch: Macht Lärm im Netz, regt Euch, sprecht Eure Parlamentarier an, damit wir sie besiegen, diese Motherfucker.« Lachen und Klatschen schallt aus dem Saal zurück zur Bühne. »Ich nehme das einmal als Zusage«, frotzelt Zimmermann zurück ins Publikum. Manchmal ähnelt politische Arbeit eben der eines Teppichverkäufers. Und zum Abschied ruft er noch einmal. »Wir sollten uns nicht dafür schämen, dass wir teilen wollen.«
    Wann Raubkopierer keine Verbrecher (mehr) sind
    Wenn man den deutschen Hackern und Netzaktivisten, wenn man Männern wie Jeremie Zimmermann zuhört, könnte man auf die Idee kommen, sie wären Romantiker, so viel reden sie von Freiheit und Kollaboration. Aber das wäre in Teilen eine Fehleinschätzung. Nicht nur Netzaktivisten wie Zimmermann, sondern Forscher von den besten Universitäten
und inzwischen auch deutsche Gerichte stellen die Argumentation der Musikindustrie und die Dogmatik des Urheberrechts in Frage.
    Die amerikanischen Professoren Hal Abelson (Massachusetts Institute of Technology), Harry Lewis (Harvard) und der Computerunternehmer Ken Ledeen beispielsweise sind solche Keimzellen für neue Perspektiven auf Urheberrecht und Kopierschutz. Mit Blick auf die allgemeine technische Entwicklung argumentiert Abelson mit seinen beiden Co-Autoren in dem Buch Blown to Bits, man müsse überlegen, Rechte an geistigem Eigentum im digitalen Zeitalter so zu begrenzen, wie das Eigentum an Bächen und Flüssen geschützt ist, die ein Grundstück durchqueren. Diesen Vorschlag begründet er mit zwei Argumenten: Erstens schöpfe niemand ein Werk ganz aus dem Nichts. Er greife auf die Vorarbeiten anderer zurück, habe von ihnen gelernt, und lernen bedeutet auch immer: kopieren, das Vorhandene anwenden und dann abwandeln.
    Das zweite Argument leitet er aus der Entwicklung des Flugverkehrs ab. In den Anfängen der zivilen Luftfahrt habe es juristische Auseinandersetzungen darüber gegeben, ob private Grundstücke ohne die Erlaubnis des Besitzers überflogen werden dürften. In die Erde reicht das Eigentumsrecht von Grundbesitzern auch heute noch. Deshalb mussten beispielsweise die Eigentümer im Verlauf des Kölner U-Bahn-Neubaus vor einigen Jahren entschädigt werden. Die Linie führte tief in der Erde durch ihr Eigentum. Abelson sagt nun: Wäre im Fall der Luftfahrt das Eigentumsrecht am Luftraum über einem Grundstück nicht begrenzt worden, hätte der Flugverkehr eine vielleicht entscheidende Innovationsblockade erlitten. Fliegen wäre heute kaum alltäglich. Und das führt ihn zu der Schlussbemerkung: »Was ist für digitale Güter die richtige Balance? Wie weit ›nach oben‹ in den Cyberspace sollten Besitzrechte reichen?« Und dann geht er noch eine gedankliche Ebene höher: »Was soll Eigentum an Bits überhaupt heißen?« Da man Bits kopieren kann, ohne einem dem anderen die Bits wegzunehmen.

    Selbst hohe deutsche Richter stellen die Argumentation der Industrie und damit zugleich die des Gesetzgebers in Frage. Das Oberlandesgericht in Köln ist im Dezember 2010 durch die Analyse des technischen Wandels und der ökonomischen Details zu neuen Erkenntnissen darüber gelangt, wo eine Linie zwischen einer erheblichen Urheberrechtsverletzung und einer zulässigen Privatkopie im digitalen Zeitalter gezogen werden könnte. Es hat einen Maßstab entwickelt, wann ein schwerer Verstoß gegen das Urheberrecht bei Filmen und Musik vorliegt – und wann ein Verstoß nicht verfolgt werden sollte, weil er wirtschaftlich praktisch keinen Schaden mehr anrichtet. Die ihm untergeordneten Instanzen in Köln orientieren sich erfahrungsgemäß an dieser Entscheidung, und das ist für die deutsche Kulturindustrie von großer Bedeutung, weil nämlich t-online als Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom und größter Anbieter von Internetzugängen in Köln seinen Sitz hat und dort die IP-Adressen an seine Kunden vergibt. Alle Klagen gegen t-online-Kunden gehen daher in Köln ein.
    Die Richter schreiben in ihrem Urteil (Aktenzeichen: 6 W 155/10), sie gingen davon aus, sechs Monate nach dem Erscheinen eines Films auf DVD und sechs Monate nach der Erstveröffentlichung eines Musiktitels habe eine illegale Kopie keinen gewerblichen

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