Zeitbombe
ich das meiste davon gern auch verdrängen, weil es kein Ruhmesblatt für die Kasseler Polizei war, was da abgelaufen ist.«
»Warum?«
»Bornmann ist in einem Indizienprozess verurteilt worden, weil es keine objektiven Beweise gegeben hat. Und viele der Zeugen, die gegen ihn ausgesagt haben, waren Polizisten.«
»Warum das denn?«
»Das weiß ich nicht. Man hat immer gemunkelt, dass Bornmanns Exfrau etwas mit einem Kollegen gehabt hat, aber das wurde nie bewiesen.«
»Weißt du noch, wie sich die Tat zugetragen hat?«
Gecks nickte.
»Klar. Ich war damals ein Frischling, gerade bei der Kripo angenommen, und durfte im Betrugsdezernat für frischen Kaffee, gute Laune und belegte Brote sorgen. Der Fall ging damals groß durch die Presse, deshalb kann ich mich noch an so vieles erinnern.«
Er fuhr sich durch die schütteren Haare.
»Bornmanns Frau hatte sich von ihm getrennt, wie lange vor der Tat, weiß ich aber nicht mehr. Sie war offenbar eine lebenslustige Person, die gern unter Leuten war, er dagegen einer, der lieber zu Hause geblieben ist und sich im Garten engagiert hat.«
»Hatten sie Kinder?«
»Ja, es gab einen Sohn. Der ist von ihren Eltern adoptiert worden, als klar war, dass Bornmann für lange Zeit den Knast nicht mehr verlassen würde.«
Er warf Lenz einen tadelnden Blick zu.
»Aber du wolltest doch wissen, wie sich das alles abgespielt hat.«
»Ja, und ich wollte dich auch nicht unterbrechen. Sorry.«
»Also. Irgendwann nach der Trennung und der Scheidung gab es nachts einen Notruf. Ein Nachbar hatte einen Streit gehört und danach einen Schrei. Als eine Streife am Tatort ankam, lag die Frau mit einem Schal um den Hals im Keller des Hauses. Die Kollegen haben sofort mit der Wiederbelebung begonnen, auch der etwas später eingetroffene Notarzt, doch es war zu spät. Die Frau ist noch in der gleichen Nacht gestorben. Wie ich es in Erinnerung habe, war es so auch besser für sie, weil sie eh nicht mehr viel auf die Reihe bekommen hätte; dafür war ihr Gehirn zu lang von der Sauerstoffversorgung abgeschnitten gewesen.«
Er goss sich ein Glas Wasser ein und nahm einen großen Schluck.
»Schon kurz darauf wurde Bornmann festgenommen, der angab, kein Alibi zu haben, weil er allein zu Hause im Bett gelegen habe. Zunächst gab es nur den vagen Verdacht einer Beziehungstat ohne jegliche Beweise, weil sie sich ja von ihm getrennt hatte, doch damit wäre kein Staatsanwalt der Welt vor Gericht durchgekommen. Und irgendwie haben sich dann auf wie auch immer gearteten Wegen ein paar Indizien gefunden, die ihn letztlich in den Knast gebracht haben.«
»Welche zum Beispiel?«
»In seinem Wagen wurden Faserreste des Schals nachgewiesen, mit dem die Frau erdrosselt worden war, und ein Kollege hat sich entgegen seiner ursprünglichen Aussage plötzlich daran erinnert, dass die Motorhaube seines Wagens warm gewesen sei. Bornmann hat damals in Baunatal gewohnt, seine Frau in Harleshausen. Und außerdem soll er angeblich in der Untersuchungshaft einem Mitgefangenen gegenüber die Tat gestanden haben. Das alles zusammengenommen hat dann ausgereicht, um ihn zu verurteilen.«
Hain schüttelte ungläubig den Kopf.
»Das klingt ein bisschen nach abgekartetem Spiel, oder?«
»Klar. Nur ist es Bornmann nicht gelungen, sich mit seinem Blatt gegen die vielleicht gezinkten Karten der anderen zu verteidigen.«
»Ging denn nicht ein Aufschrei der Empörung durchs Land, nach dem Urteil?«, wollte Wagner wissen.
»Das sollte man annehmen, ja. Aber es gab ein Ereignis, das die ganze Sache medial und inhaltlich überlagert hat, nämlich die deutsche Wiedervereinigung. Der Fall hat sich im Frühsommer 1989 zugetragen, verhandelt wurde im Herbst, und da hatten die Leute anderes zu tun, als sich um einen windigen Mordprozess in Kassel zu kümmern.«
»Du hast vorhin erwähnt, dass die Frau einen Liebhaber gehabt haben soll, es aber nie herauskam, wer das gewesen sein könnte. Gab es da überhaupt keine Gerüchte?«
»Zumindest keine, von denen ich wüsste.«
»Wie ging es weiter?«, wollte Wagner wissen.
»Na ja, während die Sache am Kochen war, hat man in den einzelnen Dezernaten schon darüber geredet, aber als er schließlich verurteilt war, ging man ruck, zuck zur Tagesordnung über. Die Revision hat, wenn ich mich richtig erinnere, ja auch nicht mehr in Kassel stattgefunden so wie der erste Prozess.«
»Hast du vielleicht noch eine Erinnerung, wer die Kollegen waren, die damals vor Gericht ausgesagt
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