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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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Einbildung, und wenn man nicht an Morgen denkt, dann bleibt dieser Augenblick bis in alle Ewigkeit.«
    Adèle lachte. »Solch seltsame Dinge hast du früher auch schon immer gesagt!« Sie schlang die Arme um seine Hüften. »Aber vielleicht hast du recht.«
    Er beugte sich zu ihr, sie hob ihm ihr Gesicht entgegen. Ihre Lippen trafen sich, und die Zeit stahl sich davon durch die dünnen Wände der Hütte.
    Mitten in der Nacht erwachte Wilhelm in dem schmalen Bett in Adèles Kammer. Wie immer sah er in den Sekunden, bevor er die Augen aufschlug, ihr Gesicht, ihre Augen und ihren Mund, der seinen berühren wollte. Und wie jedes Mal wollte ihn das Gefühl der Trauer und der Enttäuschung über die Flüchtigkeit dieser Illusion überwältigen. Doch diesmal war es keine Täuschung. Er schlug die Augen auf und sah Adèles Gesicht vor sich. Sie hatte ihren Kopf in eine Hand gestützt und blickte ihn an, still und unverwandt. Ihr Atem streichelte seinen Hals, er wünschte, er könnte diesen Hauch am ganzen Körper spüren. Er zog sie zu sich heran.

7 . Berlin
Negerinnen
    Jedes Mal, wenn Robert glaubte, an die Oberfläche zu gelangen, zog ihn etwas zurück in das Dunkel, das ihn ängstigte und ihm zugleich Schutz bot. Er spürte, dass er lebte, aber er befand sich in einem Zustand, in dem er nichts hörte, sah oder fühlte. Erneut strebte sein Bewusstsein an die Oberfläche. Und diesmal war es anders. Er hörte sein eigenes Stöhnen wie ein Echo unter einer Felswand. Und dann war er oben.
    Er wagte nicht sofort, die Augen zu öffnen, der Schmerz, der seinen Körper umklammerte, beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit. Er spürte eine Berührung, eine Hand lag auf seiner Stirn, kühl und weich. Dann hörte er die Stimme: »Gleich haben Sie es geschafft, gleich sind Sie bei mir.« Es war die Stimme einer Frau. Sie wiederholte die Worte mehrmals, und Robert spürte, wie sie die Macht über den Schmerz gewannen, wie der Drang, die Augen zu öffnen, immer stärker wurde.
    Das Erste, was er sah, waren zwei schwarze Frauen, die Wasserkrüge auf ihren Köpfen trugen und kerzengerade, als hätte ihre Last kein Gewicht, auf ihn zuschritten. Er starrte auf das Bild, als die Stimme sagte: »Willkommen zurück. Sie haben es geschafft!«
    Er hob den Blick und sah in ein rundes, lächelndes Gesicht, dessen Augen ihn anstrahlten und ihm zu versichern schienen, dass sie ihn nicht wieder entschwinden lassen würden. Die Frau, die da vor ihm saß, trug eine Halskette, an der ein ledernes Amulett befestigt war, das die beiden Wasserträgerinnen zeigte. Ohne den Blick davon zu wenden, fragte er: »Wo bin ich?« Seine eigene Stimme drang rau und wie aus weiter Ferne zu ihm.
    »In Sicherheit«, antwortete die Frau, »Sie sind im Lazarett. Sobald Sie wieder bei Kräften sind, dürfen Sie in die Heimat, dort werden Sie weiterbehandelt.«
    Robert betrachtete die Frau genauer. Sie trug die Tracht einerKrankenschwester, gestärktes weißes Leinen mit scharfen Bügelfalten, eine Haube auf dem Kopf, auf der das rote Kreuz eingestickt war. Sie roch nach Stärkungsmitteln und Desinfektion, nach Sicherheit und Geborgenheit. Der Gestank von Feuer und Rauch, Schlamm und Blut, der ihn zuletzt begleitet hatte, wich dem Geruch der Reinheit.
    Entspannung machte sich breit, er legte den Kopf ins Kissen zurück und schloss die Augen – sofort schoss der Schmerz erneut durch seinen Körper. Seine Hand glitt zum linken Bein, wo er die Quelle des Schmerzes spürte. Die Krankschwester ergriff seine Hand und legte sie behutsam auf seine Brust zurück. »Das wird bald nachlassen, die Wunde ist noch frisch, aber die Medikamente wirken. Haben Sie keine Angst, der Schmerz wird nachlassen!«
    »Was ist mit dem Bein?«
    »Es musste amputiert werden. Sie haben zu lange im Graben gelegen, es war nicht mehr zu retten.«
    Langsam glitt seine Hand erneut über die saubere, weiße Bettdecke hinunter zum linken Bein. Als sie dort angekommen war, gab die Decke unter ihrem Gewicht nach.
    Entsetzen stand in seinen Augen, als er der Krankenschwester das Gesicht zuwandte. Sie sah die Frage, die er stellen wollte, und legte einen Finger auf seine Lippen: »Nicht reden jetzt! Entspannen Sie sich, es wird gut werden. Man kann auch mit einem Bein leben.«
    Der Schmerz schob sich wieder zwischen ihn und das Leben, langsam versank er im Dunkel. Das Letzte, was er sah, war das Bild der beiden nackten Eingeborenen.
    *
    Das nächste Erwachen war unsanfter. »Hören Sie mich? Sind Sie noch bei

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