Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
glaube, das würde sie nicht tun, wenn er nicht ständig an ihr etwas auszusetzen hätte. Sie hat doch alles getan, was er verlangt hat: die höhere Töchterschule, Klavierunterricht, sogar reiten hat sie gelernt, obwohl sie Pferde nicht mag.«
»Im Gegensatz zu dir«, sagte Helène und sah stolz zu ihm auf. »Dein Einsatz heute Morgen war bemerkenswert, die Leute in der Stadt reden darüber.«
In diesem Augenblick stürmte der Freiherr herein. »Sollen sie«, mischte er sich ein, »sollen sie reden. Hauptsache nicht über unsere Tochter. Sie besteht doch tatsächlich darauf, zu diesem Frauenkongress zu gehen! Eher sperre ich sie in den Keller bei Wasser und Brot, als dass ich so etwas zulasse.«
Er schenkte sich einen Whisky ein, setzte sich neben seine Frau und atmete tief durch, als sie seine Hand in die ihre nahm. Wilhelm setzte sich den beiden gegenüber.
»Hör zu«, sagte der Freiherr zu ihm und beugte sich vor. »Es gibt weiß Gott Wichtigeres als Frauen in Hosen. Also: Was Doering vorhin über die Franzosen sagte, ist noch geschmeichelt. Die Wahrheit ist: Die Situation in Togo kann jeden Tag kippen. Wirmüssen etwas unternehmen. Die zusätzlichen Polizeibeamten sind bereits im Parlament beantragt, und ich weiß, dass sie auch genehmigt werden. Aber das allein genügt nicht. Wir müssen Flagge zeigen, das Fußvolk muss sehen, dass die Verantwortlichen es nicht mit den Problemen alleinlässt. Wir werden mit dem nächsten Schiff abreisen, Doering und ich. Und ich möchte, dass du mit uns kommst. Du wirst ohnehin in meine Fußstapfen treten, da ist es an der Zeit, dass du die Außenstellen des Reiches kennenlernst. Zumindest erst mal eine davon. Zigarre?«
Wilhelm schüttelte den Kopf, seine Gedanken rasten – Charlotte, das Studium, das Husarenregiment. Sein Vater schien seine Gedanken zu lesen. »Die Heirat läuft nicht weg, das sieht Doering ebenso. Er wird es seiner Tochter erklären. Und dein Studium muss eben noch ein Semester warten. Und die Reserveübungen – da lassen wir dich wegen dringender Staatsgeschäfte freistellen. Du bist sowieso der Beste deines Jahrgangs in allen Disziplinen: Schießen, Reiten, Fechten. Das ist eine Kleinigkeit, die Freistellung liegt quasi schon vor.«
Helène von Schwemer sah ihren Mann groß an. »Ich soll auf euch beide verzichten«, fragte sie ungläubig, »für so lange Zeit …?« Als ihr Mann nicht antwortete, erhob sie sich und ging mit schnellen Schritten aus dem Zimmer.
Wilhelm wollte ihr folgen, aber sein Vater hielt ihn am Arm zurück. »Mach dir keine Sorgen, sie ist an meine Reisen nach Afrika gewöhnt. Und dass du irgendwann mit mir fahren würdest, war absehbar. Nun ist die Zeit gekommen.«
»Weiß Mutter schon von Ihren Umzugsplänen?«, wechselte Wilhelm das Thema, als fürchte er, zwei Neuigkeiten von solchem Gewicht könnten zu viel für seine Mutter sein.
»Nein, du hast es als Erster erfahren, und bitte: Sprich nicht darüber, bis ich es ihr gesagt habe. Ich weiß, dass es sie freuen wird, einige ihrer besten Freundinnen wohnen bereits in Zehlendorf. Ich will sie mit dieser Mitteilung dafür entschädigen, dass sie für einige Wochen auf dich verzichten muss.«
Wilhelm setzte sich wieder und nickte. Dann fragte er: »Wie lange dauert die Überfahrt?«
»Tja«, entgegnete der Freiherr, »die ›Titanic‹ steht uns ja leider nicht mehr zur Verfügung, sonst wären wir ab Wilhelmshaven in vier Tagen dort. Wir werden mit einem der Wörmann-Schiffe fahren, wahrscheinlich mit der ›MS Lucie Wörmann‹, ein gutes Schiff, ich kenne es, bin schon ein dutzendmal damit gefahren. Wir werden am 1. März in Hamburg ablegen und sind am 10. März in Lomé – je nach Wind und Wellen. Und die sind vor den Küsten Togos nicht von schlechten Eltern!«, lachte er. »Aber davon erzähle ich dir später mehr.« Wilhelm verbeugte sich und bat darum, sich zurückziehen zu dürfen. Der Freiherr erhob sich schwer, legte seine Hände auf die Oberarme seines Sohnes und sagte: »Noch einmal herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag! Du bist der Sohn, den ich mir gewünscht habe, Wilhelm. Und ich hoffe, deine Brüder kommen nach dir. Und deine Schwester – die kriegen wir auch schon noch hin. Wenn dir ein Husarenkamerad über den Weg läuft, den du für geeignet hältst für sie, lass es mich wissen. Es wird jetzt wirklich Zeit für sie, bevor sie eine alte Jungfer wird.« Wilhelm wollte einwenden, dass sie nur knapp ein Jahr älter sei als er selbst, verkniff
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