Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
hat Wilhelm gesagt. Wer mir nicht gehorcht, den zerquetsche ich. Ja, liebe Freundinnen, das ist die Haltung, vor der sie strammstehen und die sie zu imitieren versuchen, all diese Männchen in ihren Paradeuniformen. Man muss sich nur mal anhören, wie sie jetzt überall herumtönen, dass man dem Franzmann endlich zeigen müsse, wer der Herr im Haus ist, und selbstverständlich gehen alle davon aus, dass es nur noch eine Frage von Wochen ist, bis es endlich, endlich zum großen Krieg kommt! Man könnte das als weiteres Zeugnis ihrer Beschränktheit abtun, wenn es nicht so gefährlich wäre. Wenigstens hat der Kaiser eine Mutter, die ihm ab und an die Ohren langzieht. Schade, dass wir die nicht in unserer Runde begrüßen dürfen.«
Nun kam sie auf das eigentliche Thema des Nachmittags zurück: »Die meisten Frauen sind, was Intimität betrifft, unmündig wie Kinder. Im Grunde müsste Sexualität in der Ehe verboten werden wegen Unzucht mit Unmündigen.« Und dann sprach Anita Augspurg über etwas, wovon Elisabeth noch nie gehört hatte: Gummis, mit denen die Frauen selbst bestimmen können, ob und wann sie schwanger werden – »endlich mal eine Erfindung, die auch uns etwas bringt!«
Natürlich gäbe es so etwas nicht bei Wertheim oder im Kaufhaus des Westens, man müsse sich da schon ein wenig informieren, sie habe deshalb auf einem Zettel Adressen von Händlern vermerkt, die diese Produkte verkaufen. »Und hier in Berlin gibt es Hausierer, die neben ihren Kolonialwaren auf Nachfrage auch Gummiwaren bereithalten«, sagte Anita Augspurg. »Man muss nur diskret danach fragen.«
*
»Hast du schon mal von so etwas gehört?«, fragte Elisabeth ihre Freundin, als sie mit der Straßenbahn auf dem Heimweg waren.
Friderike nickte. »Aber gesehen hab’ ich es auch noch nicht. Beim nächsten Treffen wird Anschauungsmaterial mitgebracht.«
Sie standen auf der Außenplattform, die warme Luft des Maitages mischte sich mit dem Duft des Pferdes, das den Waggon zog. »Aber lass uns jetzt nicht weiter darüber reden«, sagte Friderike und deutete mit einem Nicken des Kopfes hinter sich, »der Feind hört mit …«
Eine Gruppe junger Männer in den Uniformen ihrer studentischen Verbindung stand hinter ihnen. Als Elisabeth sich nach ihnen umsah, rissen sie ihre Mützen vom Kopf und verbeugten sich. Elisabeth und Friderike kicherten, stiegen an der nächsten Haltestelle aus und verabschiedeten sich voneinander. Sie mussten den Rest des Heimwegs in verschiedene Richtungen gehen.
*
Als Elisabeth zu Haus eintraf, stutzte sie: Im Salon war nicht wie sonst um diese Zeit der Tisch für das Abendessen gedeckt. Albert, der Hausdiener, bemerkte ihren Blick und sagte leise: »Sophie erwartet sie in der Küche, Madame.«
Am Küchentisch saß die Haushälterin und hatte den Kopf in beide Hände gestützt. Als Elisabeth eintrat, erhob sie sich und strich die Schürze glatt. »Wir haben ein Problem«, sagte sie, ohne eine Begrüßung abzuwarten. »Zwei – genauer gesagt.«
Elisabeth setzte sich auf die Küchenbank, und Sophie schob ihr einen Brief hin. »Sie kommen bereits in drei Tagen nach Haus.« Elisabeth nahm den Brief aus dem Kuvert und las ihn. Ihre Augen weiteten sich beim Lesen. »Großmutter ist tot«, sagte sie leise, die Köchin nickte mitfühlend. »Und Mutter bittet uns, das Haus für Vaters Rückkehr vorzubereiten.« Elisabeth sah Sophie an. »Nächste Woche sind also alle wieder hier. Dann müssen die Handwerker einen Schlag zulegen, damit die Terrasse bis dahin fertig wird. Wie weit sind die eigentlich?«
Sophie zuckte resigniert mit den Schultern. »Egal«, antwortete sie dann, »nun müssen sie eben spätestens am Wochenende fertig werden. Es wäre nett, wenn Sie es dem Herrn Bauleiter sagen. Ich bin für ihn ja nur die Köchin.«
Elisabeth nickte, beugte sich vor und legte ihr eine Hand auf den Arm: »Und das zweite Problem?«
»Luise«, sagte die Haushälterin, »sie bekommt ein Kind.«
Elisabeth rutschte auf der Sitzbank nach vorn. »O nein! Als wenn sie nicht schon genug Probleme hätte. Wo ist sie?«
»In ihrem Zimmer, sie wartet auf Sie.«
»Wie lange ist schon bei uns beschäftigt?«
»Seit zwei Jahren. Und sie hat sich noch nie einen Tadel Ihrer Frau Mutter eingehandelt. Sie ist das beste Hausmädchen, das wir bisher hatten.«
»Wie alt ist sie?«
»17.«
»O nein«, sagte Elisabeth erneut, sah Sophie an und sagte: »Meine Eltern dürfen nichts davon erfahren, schon gar nicht mein Vater, sonst sitzt
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