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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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der Tür stehen. Sie rannte die letzten Meter vom Gartentor zum Eingang, doch als sie in die Halle trat, war von ihrem Vater nichts zu sehen. Trotz aller Streitereien in der letzten Zeit hatte sie sich auf seine Rückkehr gefreut. Ratlos lief sie von Zimmer zu Zimmer, bis sie auf den Hausdiener traf, der ihr sagte: »Der Freiherr hat Geschäftsbesuch und sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Er möchte nicht gestört werden.«
    Elisabeth verbrachte den Nachmittag in der Küche, um mit Sophie die Speisefolge für das seit langem erste gemeinsame Essen der Familie zu besprechen. Sie saß am Tisch über eine Liste gebeugt, als ein Räuspern sie zusammenfahren ließ. Sie drehte sich um und sah ihren Vater, der sie mit ausgebreiteten Armen anstrahlte. »Wollen wir es noch einmal miteinander versuchen?«, fragte er. Sogleich verrauchte ihre Verärgerung, sie sprang auf und umarmte ihn. »Verzeih, dass ich erst jetzt herunterkomme«, sagte er, »aber ich bin nun mal Sklave meines Amtes – kaum bin ich aus Afrika zurück, warten hier schon wieder dringende Geschäfte …«
    Was er ihr in der folgenden Stunde im Salon erzählte, ließ Elisabeth ein ums andere Mal ein entsetztes »O nein!« ausrufen. Sie wusste zwar, dass Wilhelm eine Verletzung davongetragen hatte und deshalb nach Lagarde gereist war. Sie wusste auch, dass Aiauschi nicht zurückkehren würde. Was sich im Einzelnen in Togo zugetragen hatte, erfuhr sie nun jedoch zum ersten Mal. Ihre Stimmung kippte: »Wie konnten Sie ihn einer solchen Gefahr aussetzen!«, rief sie und sah ihren Vater wütend an. Sie spürte einen kaum zu bändigenden Zorn in sich aufsteigen. »Was gehen uns überhaupt diese Verrückten an mit ihren Totenschädeln? Ich wünschte, Afrika wäre nie von den Weißen entdeckt worden. Es wäre ein Segen für die Menschheit!« Mit diesen Worten lief sie aus dem Salon, und der Burgfrieden zwischen Vater und Tochter war fürs Erste dahin.
    Nicht viel günstiger verlief für Richard von Schwemer das Wiedersehen mit seiner Frau einen Tag später. Ohne Umschweife bat sie ihren Mann zu einer Unterredung in ihr Boudoir. Als sie nach einer halben Stunde wieder herauskamen – Helène zuerst –, verabschiedete sich der Freiherr umgehend wegen wichtiger geschäftlicher Besprechungen im Kolonialamt und ließ den Horch vorfahren. Die Familie setzte sich ohne ihn zu Tisch.
    *
    Wilhelm, nun endlich wieder ohne Armschlinge, besaß die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner beiden jüngeren Brüder Adalbert und Karl. Nach dem Essen zeigten sie ihm im Kinderzimmer stolz ihre neuen Zinnsoldaten. »Und weißt du was?«, sagte Adalbert zu Wilhelm, »es gibt sogar welche von den 4. Husaren – dein Regiment!« Er öffnete feierlich eine Schatulle und nahm zwei Reiter heraus, die Säbel schwingend auf dahinrasenden Pferden saßen. »Wenn ich doch schon so alt wäre wie du!« Wilhelm legte einen Arm um die Schulter des schmächtigen, sommersprossigen Jungen und versicherte ihm, die Zeit würde schneller vergehen, als er es sich vorstellen könne und als es ihm lieb sein werde.
    »Was soll mir denn lieb sein an der Zeit, die ich jetzt habe?«, fragte der Junge. »Das lächerliche Exerzieren in der Schule mit Holzgewehren? Die Klavierlehrerin, die immer so riecht wie ein Teebeutel? Die albernen Ärzte, die mir ständig auf der Brust herumklopfen?«
    »Also«, sagte Wilhelm, setzte sich auf die Bettkante und winkte seine Brüder zu sich, die sich neben ihn setzten. »Also erstens«, sagte er, »in der Schule kann man nur mit Holzgewehren exerzieren. Richtige Gewehre sind nämlich zu schwer, eure Klassenkameraden würden darunter zusammenbrechen – ihr natürlich nicht, das ist klar«, sagte er beschwichtigend. »Aber dafür könnt ihr dann schon vieles, wenn es später ans echte Exerzieren geht, und das ist sehr wichtig! Zweitens: Die Erfindung des Teebeutels ist zwar leider keine deutsche, aber eine, die die Welt revolutioniert hat, mehr zum Beispiel als die Autos. Denn Teebeutel kann sich jeder leisten – im Gegensatz zum Klavierunterricht. Glaubt mir – wer Klavierspielen kann, hat Glück bei den Frauen!« Die Jungen kicherten. »Ich hab’s leider nicht gelernt – das will eure Mutter nun an euch nachholen, ihr solltet ihr dafür danken!«
    Und dann wandte er sich an Adalbert: »Und nun zu den Ärzten: Ich weiß, dass diese ständigen Untersuchungen anstrengend für dich sind. Aber die Wickel sind der neueste wissenschaftliche Stand bei der Behandlung von

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