Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Frankreich, dass es deine Pflicht ist, Charlotte zu heiraten?«
Wilhelm sah zu Boden. »Sie will mich sprechen, hat Vater gesagt.«
»Wer?«
»Charlotte.«
Elisabeth nickte. »Es wird wohl wegen Afrika sein.«
»Afrika?«
»Ja, so hörte ich. Sie will für eine Weile als Krankenschwester nach Lomé. Und sie hat ihren Vater überreden können.«
Wilhelm lächelte. »Ich mag sie«, sagte er dann. »Sie hat Ziele, sie nimmt sich sozusagen selbst in die Pflicht. Sie hat mir vondiesem Wunsch erzählt. Dass es schon jetzt so weit ist, wusste ich nicht.«
»Vielleicht solltest du sie mal treffen, ohne dass die Altvorderen dabeisitzen.«
»Das wäre unschicklich«, antwortete Wilhelm, »das weißt du.«
Elisabeth lachte. »Ach, mein Wilhelm, du hättest vor hundert Jahren geboren werden sollen. Du passt nicht in diese Zeit …«
Herren
Zur Exkursion der Herrenrunde holte Wilhelm seinen Vater vom Afrikahaus im Karlsbad 10 ab. Er war schon lange nicht mehr in den Räumen des Kolonialamtes gewesen. Zwei großgewachsene Afrikaner in preußischen Uniformen standen mit geschulterten Gewehren links und rechts vom Eingang und blickten starr geradeaus, als Wilhelm an ihnen vorbeiging. Seltsam, dachte er, wozu stehen die hier? Sie kennen mich nicht und lassen mich trotzdem ohne weiteres passieren?
Der Wachsoldat im Inneren des Hauses begrüßte ihn mit Namen. »Ihr Herr Vater hat Sie avisiert. Ich freue mich, Sie persönlich begrüßen zu dürfen, Sie haben einen Ruf wie Donnerhall! Wie gern würde ich die Geschichte haarklein von Ihnen hören – aber die Zeit reicht nicht, er erwartet Sie.« Er schulterte sein Gewehr und marschierte voran, den langen, weiß gekalkten Gang entlang, an dessen Wänden Ölgemälde hingen, die idyllische und friedliche afrikanische Dorfszenen zeigten. Kein Wunder, dass sich immer mehr Auswanderungswillige melden, um die afrikanischen Kolonien zu besiedeln, dachte Wilhelm, als er im Vorübergehen die Bilder betrachtete.
Vor dem Amtszimmer seines Vaters wurde er gebeten, auf einer Bank Platz zu nehmen und zu warten. Der Soldat klopfte an die Tür, von drinnen ertönte ein gebelltes »Herein!«. Kaum hatte der Soldat das Büro betreten, stolperte er auch schon wieder rückwärts heraus, gefolgt vom Freiherrn, der fauchte: »Wie könnenSie es wagen, meinen Sohn hier draußen sitzen zu lassen wie einen Bittsteller! Wegtreten!«
Der Mann salutierte und entfernte sich in Windeseile. »Du bist der Letzte«, sagte der Freiherr, »alle warten schon auf dich.« Mit einer knappen Handbewegung forderte er Wilhelm auf, einzutreten.
Das Zimmer war ausstaffiert mit Speeren, Masken und bunten Holzskulpturen, die Eingeborene darstellten. »Ja!«, lachte der Freiherr, als er Wilhelms Blicken folgte, »hier siehst du mein Spielzimmer. Alles persönlich mitgebracht, jedes einzelne Stück! Du warst lange nicht mehr hier, mein Sohn. Die Herren kennst du ja. Du brauchst sie nicht einzeln zu begrüßen.« Wilhelm verbeugte sich in die Richtung der sechs Männer, die mit Whiskygläsern in den Händen vor dem großen Fenster standen und sich unterhielten. Sie hoben die Gläser zum Gruß.
*
»Ich hoffe, deine Mutter hat einen netten Abend mit Helene Bechstein«, sagte der Freiherr, als sie wenig später nebeneinander im Fond des Horch saßen. Die Gruppe war mit drei Fahrzeugen aufgebrochen, der Dienstwagen des Freiherrn fuhr vorweg. »Ich habe ihnen Karten für eine Wilhelm-Busch-Lesung besorgt. Da staunst du, was?«, sagte er und schlug Wilhelm freundschaftlich auf den Schenkel. »Ich habe durchaus Sinn für die Kultur des einfachen Volkes, mein Sohn. Wie sonst könnte ich so gut mit unseren Negern in Afrika klarkommen? Und wenn einer so gut dichten kann wie dieser Busch, dann muss man ihn unterstützen.«
Wilhelm nickte. »Und wir?«, fragte er, »wo tagen wir?«
»Tagen? Ach so, ja. Lass dich überraschen. Der Mensch besteht nicht nur aus seinen Pflichten. Das ist das, was ich dir heute Abend veranschaulichen möchte.«
Nach einer halbstündigen Fahrt bogen die Wagen durch einen Torbogen in einen Hof und hielten dort vor einem kleinen Haus, dessen Tür prompt geöffnet wurde. Eine Dame im roten Abendkleid hieß die Gruppe willkommen, einer nach dem anderen küsste ihre Hand. »Schön, Sie wieder begrüßen zu dürfen,treten Sie ein!« Als die Reihe an Wilhelm war, sich über ihre Hand zu beugen, sagte sie überschwänglich: »Ein neues Gesicht! Darüber werden sich die Damen freuen.«
Sie betraten einen
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