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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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bestätigen.
    »Ja, ebenjener«, wiederholte der Freiherr. »Und nun fragst du dich: Warum du? Ganz einfach, mein Sohn: Ich muss demnächst nach Afrika und habe viel vorzubereiten, in Südwest stehen die Dinge nicht zum Besten. Und deine Mutter kann diesen Professor nicht aufsuchen, er würde sie nicht in seine Praxis lassen. Er duldet keine Frauen, die Korsetts tragen. Er hält das für degeneriert. Neulich hat er …«
    »Richard!«, sagte Helène von Schwemer streng, und er schwieg.
    »Kürzlich hat er eine Patientin im Unterrock aus seiner Klinik gejagt, weil sie es gewagt hatte, im Korsett zur Untersuchung zu erscheinen«, sagte der Freiherr leise zu Wilhelm.
    Wilhelm fühlte sich unbehaglich bei dem Gedanken an Unterröcke und Korsetts, er heftete den Blick auf seinen Vater, dessen Kopf vom Zigarrennebel umhüllt war und auf dessen Stirn der braune Soßenstreifen langsam in die Augenbrauen rutschte.
    »Natürlich«, sagte er, »selbstverständlich fahre ich mit Adalbert zu Professor Schweninger.« Er erhob sich, verbeugte sich zuerst zur Mutter, dann zum Vater und verließ den Raum. Er wollte gerade die Tür schließen, als sein Vater rief: »Ach, noch etwas.« Wilhelm blieb stehen. »Da von Doering mich nach Afrika begleiten wird und wir nicht wissen, wie lange wir fort sein werden, wird es dieses Jahr wohl nichts mehr werden mit der Hochzeit. Du solltest Charlotte möglichst bald zu einem Gespräch treffen. Ich glaube, sie hat dir etwas zu sagen.«
    *
    »Und das lässt du dir gefallen?«, fragte Elisabeth, als Wilhelm an der offenen Tür ihres Zimmers vorüberging. Sie saß vor ihrem Schreibtisch. »Dass er so mir nichts dir nichts über deine Hochzeit entscheidet. Aber das stört dich nicht, stimmt’s?«
    Er trat ein und schloss die Tür hinter sich. »Was weißt du über den Bruder von Luise, unserem Hausmädchen?«, fragte er, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. Verblüfft ließ sie ihren Federhalter fallen. Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
    »Du siehst«, sagte er, »ich kann dir auch Fragen stellen, die dich sprachlos machen.« Er lachte. »Keine Sorge, ich verrate nichts.«
    »Verraten? Wie?«
    »Er kennt dich. Das hat er zumindest gesagt.«
    Jetzt sah sie ihn noch verblüffter an. »Und woher kennst du ihn?«
    »Er hat mich aus dem Schlamassel geholt. Vor ein paar Wochen, bei den Unruhen. Wenn er mich nicht in sein Haus gezogen hätte, säße ich vielleicht nicht mehr hier.«
    »Sein Haus?«
    »Na ja, da, wo er mit seiner Schwester wohnt, mit der Familie und noch ein paar Leuten. Sie hat mir ebenfalls geholfen. Ich schulde ihr etwas.«
    Er erzählte Elisabeth, was geschehen war. Elisabeth hörte ihm aufmerksam zu. »Sie bekommt ein Kind«, sagte sie dann unvermittelt. »Von einem Mann, der sie erpresst hat. Ich habe ihr gesagt, dass ich ihr helfen werde.«
    »Und wie soll das geschehen?«
    »Wir werden es bis zum Schluss geheim halten. Und wenn das Kind da ist, wird es adoptiert. Ich kenne Frauen, die Kontakte haben zu Organisationen, die solchen Mädchen helfen.«
    »Das erklärt aber noch nicht, woher du den jungen Mann kennst, Luises Bruder.«
    »Es bleibt unter uns?«, fragte Elisabeth.
    Wilhelm nickte.
    »Ich war im Vergnügungspark, mit Friderike. Da sind sie unsüber den Weg gelaufen, standen plötzlich vor uns und meinten, es lohne sich nicht, sich die zersägte Jungfrau anzusehen, weil sie nicht tatsächlich zersägt wird.«
    »Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass sie sie zersägen?«
    »Ich hätte es drauf ankommen lassen.«
    »Und was hast du mit dem gesparten Eintrittsgeld gemacht?«
    »Zuckerwatte gekauft.«
    »Zuckerwatte. Du wirst nie erwachsen.«
    »Muss ich das? Was ist das überhaupt?«
    »Wenn man Verantwortung übernimmt, zum Beispiel.«
    »Und was noch?«
    »Wenn man seine Pflichten kennt.«
    »Und die kennst du, ja? Deine Pflichten …«
    Wilhelm zuckte die Achseln. »Findest du nicht?«
    Sie strich ihm über die Wange. »Doch«, sagte sie, »die kennst du. Du bist sogar viel zu pflichtbewusst. Kaum sagen sie dir irgendwas, da springst du schon. Ich frage mich manchmal, ob du weißt, welche Pflichten gut sind und welche nicht.«
    »Wie kann eine Pflicht nicht gut sein?«
    »Nimm mal die Polizisten neulich: Die haben die Pflicht, auf die Arbeiter zu schießen. Dabei sind sie im Grunde selbst welche, nur wollen sie es nicht wahr haben. Ist das eine gute Pflicht?«
    Wilhelm schwieg.
    »Und was ist mit deiner Hochzeit mit Charlotte? Wie erklärst du dem Mädchen in

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