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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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Tragen Sie gern diese Kleidung, die Ihre Eltern Ihnen kaufen?«
    Er wartete kurz auf eine Antwort. »Also nicht.«
    »Schmeckt Ihnen das Essen, das Ihre Mutter für Sie kocht?«
    »Bei uns kocht Sophie, die Köchin.«
    »Ah ja. Schmeckt Ihnen Sophies Essen?«
    »Wenn es Pudding gibt …«
    »Also nicht!«, sagte Schweninger. »Zumindest nicht die Hauptmahlzeit. Leben Sie gern hier in der Stadt?«
    »Ich mag auch gern aufs Land fahren.«
    »Also nicht!«
    Schweninger sah Wilhelm an. »Und da soll Ihr Herr Bruder keinen Husten bekommen? Was trinken Sie zu Hause?«, fragte er wieder Adalbert.
    »Limonade.«
    Schweninger ließ den Tennisschläger auf den Boden fallen. »Den Block!«, rief er.
    Einen Moment später erschien seine Schwester mit einem Schreibblock, auf dessen oberstem Blatt bereits etwas geschrieben stand. Schweninger riss es ab und reichte es Adalbert.
    »Ihr Herr Vater kann es sich leisten«, sagte er. »Hier steht die Adresse eines Importeurs, der Wasser aus den Pyrenäen nach Berlin transportiert. Davon soll er so viele Kisten kaufen, wie er in seinem Haus unterbringen kann. Sie trinken ab jetzt alle halbe Stunde ein Glas von dieser Größe«, – er deutete auf die Gläser auf dem Tisch –, »gerade so heiß, dass sie es über die Lippen bekommen. Und alle anderen im Haushalt kann ich nur einladen, es ebenfalls zu tun. Ihre Lunge, junger Mann – ich brauche sie nicht mit dem Stethoskop abzuhören, falls Sie das erwartet haben sollten. Ich höre an Ihrem Atem und Ihrer Stimme, dass Sie nicht ernsthaft krank ist. Ihre Lunge will Ihnen mit dem Husten nur etwas mitteilen: Mach mich frei, sagt sie, mach mich frei, ich will frei atmen können! Was tun Sie, wenn Sie nachts einen Hustenreiz bekommen und davon aufwachen?«
    »Ich trinke ein Glas Wasser.«
    Schweninger strahlte und breitete die Arme aus: »Sehen Sie, Sie machen es instinktiv richtig! Sie stehen noch im Kontakt mit der Natur, Sie wissen, was Ihr Körper braucht! Ich wusste es gleich, als ich Sie hereinkommen sah: Der junge Mann hat Verstand! Waren Sie schon mal bei den Wandervögeln?«
    »Bei wem?«
    Schweninger blickte nun Wilhelm an, der die Achseln zuckte.
    »Das sind Leute, die die Zeichen der Zeit erkannt haben, die Speerspitze der Bewegung! Da sollten Sie mitmachen: Am Wochenende raus aus der Stadt, rein in die Natur, raus aus dem Klamotten, rein ins Wasser!«
    Wilhelm und Adalbert sahen ihn konsterniert an.
    »Schwedisch baden – noch nie davon gehört? Wie Gott uns erschaffen hat, Männlein und Weiblein. Weg mit den Korsetts, weg mit den engen Hosen – wir brauchen Freiheit für Körper, Geist und Seele. Vor allen Dingen Sie, junger Mann: Ihre Generation sollte endgültig Schluss machen mit dem ganzen Unsinn.«
    »Ernstl!«, unterbrach ihn sanft die Schwester, »der junge Mann ist hier, weil er an der Lunge leidet, und nicht, um deine gesellschaftspolitischen Ansichten zu hören.«
    Sie stellte sich neben ihn und sah zärtlich auf ihren Bruder herab. »Er lebt für die Reformbewegung, wissen Sie. Freikörperkultur, Rohkost, Nacktbaden …«
    Wilhelm erhob sich. »Wir wissen das zu schätzen«, sagte er, »und danken Ihnen für Ihre Zeit. Ich werde die Wasserbestellung umgehend in die Wege leiten.«
    Mit einer Verbeugung verabschiedeten sich die Brüder. »Und entbieten Sie Ihrem Fräulein Schwester meine ergebensten Grüße!«, rief Prof. Schweninger ihnen nach. »Sie und ihre Freundinnen waren eine Bereicherung für unseren letzten Badeausflug, sagen Sie ihr das, bitte.«
    Als sie schon auf dem Flur waren, eilte Fräulein Schweninger hinter ihnen her. »Ach, und noch etwas!«, rief sie und wedelte mit einer Zeitschrift, die sie in der Hand hielt. »Vielleicht nehmen Sie diese hier mit, es ist das Verbandsorgan der Neuen Zeit. «
    Wilhelm nahm die Zeitschrift und steckte sie in seine Jacke.
    »Ich fühle mich schon viel besser«, sagte Adalbert, als sie in der Straßenbahn saßen. »Ich habe kein einziges Mal gehustet, seit wir dort waren, oder?«
    »Nein, hast du nicht«, entgegnete Wilhelm und zog ihn an sich.

E ntscheidungen
    Das zwanglose Essen für sechs Personen verlief harmonisch. Die Herren waren glänzender Laune, der Freiherr und Gouverneur von Doering hatten sich nach dem Hauptgang auf eine Zigarre ins Rauchzimmer zurückgezogen. Helène von Schwemer und Charlottes Mutter machten einen Spaziergang im Garten – wie zufällig blieben Charlotte und Wilhelm allein im Salon.
    Wilhelm hatte seiner Verlobten schon bei deren

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