Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
her. »Bring ihnen etwas Wasser, meine Liebe!«, rief er dann. »Nicht zu heiß, Trinktemperatur bitte!« Die alte Dame verließ den Raum.
»Wissen Sie, ich bin jetzt 73 und haben eben in zwei Sätzen einen 55-jährigen vom Platz gefegt. Ja, Sie hören richtig: vom Platz gefegt! 6:1, 6:1. Und wissen Sie, wieso? Wasser! Das Geheimnis von Jugend und Kraft hat einen Namen: Wasser.«
Er sprang auf. »Kommen Sie, hier herüber! Was stehen Sie da herum?«
Er führte sie zu einer Sitzgruppe und bat sie, Platz zu nehmen.Er bemerkte Adalberts suchenden Blick und sagte: »Ja, ich habe alles rausgeworfen, was nach Behandlungszimmer aussieht. Ich kann das nicht ausstehen. Das machen diese Kerle nur aus einem einzigen Grund: Sie wollen die Leute einschüchtern. Ärzte sind nämlich in Wahrheit meist bedeutend dümmer als ihre Patienten, und deshalb staffieren sie sich mit den Insignien des Neunmalklugen aus. Es gibt eine Untersuchung, die besagt, dass acht von zehn kerngesunden Menschen krank werden, wenn man sie nur lange genug Arztpraxen aussetzt. Bei wie vielen Ärzten waren Sie schon, junger Mann?«
»Vier, glaube ich.«
»Und welcher hat ihnen geholfen?«
»Bisher noch keiner.«
»Ich werde Ihnen auch nicht helfen.«
»Aber …«, hob Adalbert an.
»Und wissen Sie, warum nicht? Weil nur Sie selbst sich helfen können! Die Lunge macht sich als Erstes bemerkbar, wenn man mit dem Leben über Kreuz liegt. Fast alle Lungenkranken haben wenig Spaß am Leben, müssen Sie wissen. Nicht weil sie lungenkrank sind, sondern schon vorher. Weil sie, sagen wir mal, zu viel machen müssen, was sie nicht machen wollen; weil sie zu wenig Zeit für die Muße haben; weil sie jeden Morgen Angst vor dem neuen Tag haben, weil sie – ach, was weiß ich nicht alles! Neulich hatte ich einen Patienten, der hustete sich die Seele aus dem Leib, und dann stellte sich heraus, das er jeden Abend Angst hatte, nach Hause zu gehen, weil seine Frau ihm wieder erzählen würde, dass er eigentlich schon längst Oberamtmann sein müsste und warum er das noch nicht sei.«
»Ernst, nun erzähl dem Jungen doch nicht solche Geschichten, er ist weder Amtmann noch verheiratet. Hier, meine Herren, Ihr Wasser.« Sie stellte ein Tablett mit zwei Gläsern und eine Karaffe Wasser vor ihnen ab. Wilhelm füllte die Gläser und verbrannte sich fast die Finger, als er eines vor Adalbert abstellte.
»Sie lernt es nicht, sie lernt es nicht«, jammerte der Professor. »Natürlich muss es gekocht werden, das ist klar! Aber man muss es auch trinken können, ohne sich Finger und Lippen zu verbrühen. Ich erzähle Ihnen jetzt etwas, während Sie darauf warten, dass Ihr Wasser abkühlt.«
»Letztes Jahr hat ein Kollege aus Frankreich den Nobelpreis für Medizin erhalten, Dr. Carrel heißt der Mann. Ich habe schon einmal gegen ihn Tennis gespielt, es ging über drei Sätze und am Ende musste ich mich geschlagen geben. Egal: Er erhielt den Nobelpreis, weil er nachweisen konnte, dass unsere Körperzellen unsterblich sind – unter einer Voraussetzung …«, er beugte sich zu Adalbert, »… unter der Voraussetzung, dass das Wasser in unserem Körper die richtige Qualität hat. Wie viel Wasser enthält der menschliche Körper?« Jetzt sah er Wilhelm an.
»90 Prozent?« entgegnete der.
»Fast richtig: 95 Prozent! Und daher heißt das Geheimnis, das ich Ihnen verraten werde: Wasser zu Wasser! Asche zu Asche, das kommt noch früh genug …« Er lachte meckernd über seinen Scherz, dann fuhr er fort: »Wasser kann schädliche Schwingungen in unserem Körper einfangen und ausleiten. Es muss natürlich das richtige Wasser sein: reines Quellwasser mit hoher Magnetstärke. Hohe Magnetstärke, meine Herren! Darauf kommt es an. So wie dieses hier!« Er deutete auf die beiden Gläser. »Es kommt von weit her, aus dem Pyrenäen. Dort entspringt das beste Wasser. Fünf Liter pro Tag sollten das Minimum sein, bei Erkrankungen mehr. Und nun zu den Erkrankungen.«
Er ergriff seinen Tennisschläger, der an der Seite des Stuhles lehnte. Während er sprach, ließ er seine Finger über die Saiten gleiten, was ein unangenehm kratzendes Geräusch verursachte. »Es gibt kein Gebrechen, das einfach so über uns kommt, außer, sagen wir mal, wenn man von der Leiter fällt. Dann bricht man sich ein Bein oder die Nase. Aber ansonsten gibt es nur krankmachende Lebensumstände. Gehen Sie gern zur Schule?«
Adalbert legte den Kopf schräg, dachte nach und zuckte mit den Schultern.
»Also nicht.
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