Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
einen Platz an der Sonne der Weltpolitik zu verschaffen, wenn nötig mit Waffengewalt. Die Paradendes Kyffhäuserbundes beherrschten neuerdings das Stadtbild Berlins, jubelnde Menschen standen an den Straßen und feierten die Veteranen des Krieges 1870 / 71. Kaufhäuser schmückten ihre Schaufenster mit Tafelgeschirr, dessen Dekor verschiedene Waffengattungen zeigte.
Im Hause Schwemer war die Freude groß, als der Freiherr an einem Abend zu Beginn der Adventszeit des Jahres 1913 ein neues Essservice mitbrachte, das bedruckt war mit den Emblemen des 4. Gardekorps: Wilhelms Bataillon, das Potsdamer Leib-Garde-Husarenregiment. »Die Zierde unseres Kaisers!«, rief Richard von Schwemer mit belegter Stimme, »und mein Sohn gehört dazu! Morgen wirst du den Dienst am Volk beginnen! Ein Dienst, der nur den Besten vergönnt ist!«
Wilhelm hatte zwar mit einer Einberufung zur großen Winterübung gerechnet, an der alle Waffengattungen teilnahmen. Dennoch war er ein wenig überrascht, als sie nun auf dem Tisch lag. »So ist das, mein Sohn«, dröhnte der Freiherr, »man kann etwas kaum erwarten, und wenn es dann so weit ist, wundert man sich doch immer wieder. C’est la vie, à votre chanté!«
Wilhelm räusperte sich. »Ich danke Ihnen für die guten Wünsche und würde mich jetzt gern zurückziehen. Nur noch auf ein Wort, wenn es Ihnen recht ist …«
»Natürlich, natürlich! Nur herein in die gute Stube«, antwortete der Freiherr und hielt ihm die Tür zu seinem Rauchsalon auf.
»Als wir uns hier zuletzt gegenübersaßen, standen die Dinge nicht zum Besten. Du weißt, dass ich in deiner Schuld stehe«, sagte der Freiherr, nachdem sie Platz genommen hatten.
Wilhelm nickte. »So ist es«, antwortete er zur Überraschung seines Vaters, »darauf wollte ich zurückkommen.«
Stirnrunzelnd blickte ihn der Freiherr an.
»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten«, fuhr Wilhelm fort, »er betrifft nicht mich persönlich.«
Immer noch sagte der Freiherr nichts. Energisch biss er die Spitze einer Zigarre ab und spuckte die Tabakkrümel auf den Boden, dann griff er zur Streichholzschachtel.
»Meine Schwester möchte Jura studieren. In Hamburg haben Frauen jetzt die Möglichkeit dazu. Ich bitte Sie, ihr die Genehmigung zu erteilen und ihren Aufenthalt dort zu finanzieren, so lange, bis sie selbst dazu in der Lage ist. Um es ganz unmissverständlich auszudrücken: Ich möchte, dass Sie dies tun. Sie können dann sicher sein, dass ich den unglückseligen Abend, an dessen Ende wir zuletzt hier beisammensaßen, endgültig vergessen werde.«
Damit erhob er sich, grüßte militärisch knapp und sagte: »Ich hoffe sehr, an den Weihnachtstagen wieder zu Hause zu sein. Ich wünsche Ihnen bis dahin eine glückliche Hand bei all Ihren Entscheidungen.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
Vorbereitungen
Die Kaserne in Potsdam war renoviert worden, seit Wilhelm zur letzten Übung hier gewesen war. Ein riesiges Portrait des Kaisers hing in der Eingangshalle, gleich daneben stand ein Weihnachtsbaum, der über und über mit Lamettastreifen behängt war. Im Innenhof hatten die Husaren des 4. Gardekorps Aufstellung genommen, auf ihren Pelzmützen sammelten sich die ersten Schneeflocken, die langsam in den Hof gesegelt kamen. Auf einem Holzpodest hielt Brigade-Kommandant von Szèkely die Begrüßungsansprache, ein Nachkomme des legendären Stabsrittmeisters, dem die preußischen Husaren ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit verdankten. Er beschwor die Tapferkeit und die Loyalität der Husaren. »Es kommt nach wie vor auf jeden Einzelnen an, auf jeden von Ihnen, meine Herren! Der Kaiser zählt auf Sie, Sie sind sein ganzer Stolz, Sie werden für ihn die Welt erobern!«
Wilhelm stand neben Robert von Trenck und hatte ein schlechtes Gewissen. Er war dessen Wunsch, seine Schwester treffen zu dürfen, noch nicht nachgekommen. Auch Robert hatte es nicht mehr erwähnt. Als sie in den Mannschaftsräumen ihre Manöveruniformen in Empfang nahmen, hatte er von den neuesten Entwicklungen der Waffentechnik geschwärmt. »Ein Riesenluftschiff wird derzeit bei Siemens gebaut, wusstest du das? Es ist so groß,dass es halb Berlin verdunkelt, wenn es über die Stadt fliegt. 500 Soldaten können darin transportiert werden! Bist du schon einmal in einem Luftschiff gefahren?«
Wilhelm schüttelte den Kopf.
»Ich aber, ein Rundflug über Berlin, am letzten Wochenende im Oktober, als der Sturm aufkam, weißt du noch? Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung war
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