Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Ihre, mein Kind. Sie sollten sie vermieten, da könnten Sie groß ins Geschäft kommen.«
Als er ihren entsetzten Gesichtsausdruck sah, tätschelte er ihre Wange und sagte: »Kleiner Scherz am Abend! Aber im Ernst: Sie sind zu beneiden. Meiner Frau und mir waren keine Kinder vergönnt. Wenn wir zwanzig Jahre jünger wären, würden wir uns um Ihr Baby bewerben, es war immer mein Traum, Kinder im Haus zu haben. Aber manche Träume sollen eben Träume bleiben. Haben Sie schon Interessenten für die Adoption?«, rief er Elisabeth zu, die der Untersuchung hinter einem Wandschirm beigewohnt hatte.
»Carla will uns demnächst ein Paar vorstellen lassen, ein Fabrikant und seine Frau«, rief sie zurück. »Und wenn sie Luise gefallen, bekommen sie die Zusage.«
»Was fabriziert er denn, wenn schon keine Kinder?«
Elisabeth zuckte die Achseln. »Das werden wir dann wohl erfahren. Aber es sollen nette Leute sein.«
»Tja, offenbar sind es immer die Netten, die keine Kinder bekommen können. Oh – Entschuldigung!«, wandte er sich schnell zu Luise, »ich wollte Sie auf keinen Fall beleidigen. Sie sind ein sehr nettes Mädchen, Betonung auf sehr. Auch wenn ich Ihre Stimme noch gar nicht kenne. Wollen Sie nicht doch mal ein Wort sagen, eines würde mir schon genügen? Denn wissen Sie: Die Stimme ist ganz wichtig, um zu beurteilen, was für ein Mensch vor einem sitzt.«
»Ich möchte die Leute nicht kennenlernen«, sagte Luise plötzlich mit klarer Stimme. »Ich sehe sie sonst später immer vor mir, wenn ich an mein Kind denke.«
Elisabeth trat neben sie. »Das musst du auch nicht, wenn es dir unangenehm ist. Wenn du möchtest, führe ich das Gespräch für dich.«
Luise nickte. »Danke! Können wir jetzt gehen?«
Als sie die Praxis verließen, erschien der Arzt noch einmal am Ende des langen Flures und rief ihnen, seine Stirn betupfend, nach: »So schlank und rank Sie auch sind, junge Frau, nun ist es nur noch eine Frage von Tagen, bis auch der Blindeste Ihnen ansieht, dass Ihre Kleider Ihnen zu eng werden. Am besten sagen Sie, Sie litten an Verstopfung, wenn einer fragt.«
»Verstopfung ist blöd«, antwortete Luise, »kann ich nicht sagen, ich bekomme ein Kind?«
»Wir reden draußen weiter darüber«, sagte Elisabeth schnell zu Luise und wandte sich zum Gehen, als der Arzt rief: »Warten Sie, warten Sie!« Er watschelte den Flur entlang und rief aufgeregt: »Genial! Das ist genial! Das werden alle für einen Scherz halten, mit dem Sie die wahre Ursache für ihre Leibesfülle zu benennen vermeiden wollen, vielleicht weil Sie in Wahrheit Verstopfung haben und es Ihnen unangenehm ist, nicht wahr. Alle werden denken: Schlagfertig, das Mädchen, wirklich schlagfertig!«
»Und wenn’s doch einer glaubt, zum Beispiel ihre Herrschaften?«, wand Elisabeth zweifelnd ein.
»Dann – dann sagt sie eben, dass es eine Ausrede war und sie in Wirklichkeit Verstopfung hat. Genial!«, wiederholte er, als er zu seinem Behandlungszimmer zurückging, »das muss ich mir merken …«
Das Büro der Adoptionsagentur, die der Berliner Frauenverband diskret betrieb, befand sich in der Belle Etage eines herrschaftlichen Hauses im Wedding. »Unsere Klientel ist ein solches Ambiente gewohnt«, hatte Carla von Maydell Elisabeth erklärt, »wenn wir in irgendeinem Kellerloch hausten, würden sie keinen Fuß über die Schwelle setzen. Oder sie würden fürchten, wir vermitteln kranke Kinder.« Sie lachte unvermittelt. »Aber das weiß man natürlich nie vorher. Die Eltern erhalten das Baby unmittelbar nach der Geburt, in welcher Verfassung es ist, wissen sie nicht. Sie müssen vertrauen. Es ist wie bei einer wirklichen Geburt, da kann einem auch keiner garantieren, dass es ein Wunschkind wird.«
»Sozietät für persönliche Dienstleistung« stand auf einem Messingschild an der Haustür. Wer es nicht besser wusste, mochte die Firma für eine private Detektei halten, die in Berlin wie Pilze aus dem Boden schossen. Elisabeth war kurz vor den Interessenten eingetroffen. Es war zunächst auf Unverständnis gestoßen, dass Luise nicht persönlich zum Gespräch erscheinen werde. Es wurde jedoch akzeptiert, dass die Schwangere stattdessen eine Vertrauensperson schicken wollte. »Es sind musikalische Leute«, sagte Frau Kupka, die das Büro führte, »die sind meistens unkompliziert. Und nett sowieso. Spielen Sie ein Instrument?«
Elisabeth verneinte, räumte dann aber ein, dass ihre Eltern vergeblich Geld für Klavierstunden ausgegeben hatten.
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