Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
vielleicht wird es sogar ein Christkind. Die junge Frau ist durch unsere Vermittlung in ärztlicher Betreuung, es geht ihr und dem Ungeborenen gut. Wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht, wird sie ein gesundes Kind zur Welt bringen. Wir sorgen für unsere Klienten, darauf können Siesich verlassen. Und wir sorgen für die zukünftigen Eltern. Nicht finanziell, versteht sich, aber wir achten darauf, dass auch Sie nicht übervorteilt werden, indem Sie zum Beispiel ein krankes Baby ins Haus bekommen. Dank des besagten Arztes und seiner Frau können wir auch dafür sorgen, dass Sie, verehrte Frau Bechstein, eine Hausgeburt haben werden und danach der überraschten Welt ein süßes Baby präsentieren. Es wird Ihr Baby sein, daran werden keine Zweifel aufkommen. Sie erhalten alle nötigen Papiere, die das Kind als Ihr leibliches ausweisen.«
»Aber«, meldete sich Elisabeth zu Wort und musterte Helene Bechstein, »man sieht ihr nichts an, rein gar nichts. Ich meine, nichts, was auf eine Schwangerschaft hindeutet …«
»Wir haben uns schon eine Weile aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen mit der Begründung, dass es meiner Frau nicht gutgeht«, erklärte Edwin Bechstein. »Deine Mutter macht sich bereits Sorgen um sie, was uns natürlich peinlich ist. Und in den kommenden Wochen wird meine Frau eben etwas korpulenter aussehen als gewöhnlich, das lässt sich ja arrangieren.« Er blickte seine Frau an, die nickte.
Frau Kupka seufzte und erhob sich. »Auf den kleinen Schreck haben wohl alle ein Likörchen verdient, oder?« Sie holte vier Gläser und eine Karaffe aus dem Schrank. »Ein Gläschen schadet der Schwangerschaft nicht«, sagte sie lachend zu Helene.
»Haben Sie immer so viel Humor?«, fragte Edwin Bechstein. »Für uns ist das hier mehr als nur ein kleiner Schreck.«
Helene Bechstein sah Frau Kupka an. »Ein Gläschen wird erlaubt sein«, sagte sie und nahm ein Glas, mit der anderen Hand ergriff sie die Hand ihres Mannes. »Lass uns auf unser zukünftiges Kind anstoßen! Du bist mir schon eine«, sagte sie dann zu Elisabeth, »erst der Auftritt neulich vor dem Modesalon, und dann dies …«
Als Elisabeth einige Minuten nach den Bechsteins das Haus verließ, entdeckte sie Luise im Hauseingang gegenüber. Sie überquerte die Straße und trat zu ihr. »Ich nehme an, du hast sie gesehen. Ich kam nicht umhin, ihnen von dir zu erzählen. Erst wären sie fast geflüchtet, dann haben sie sich an den Gedankengewöhnt. Ich glaube sogar, es gefällt ihnen, dass ihr zukünftiges Kind aus gutem Haus kommt.«
»Aus gutem Haus?«, erwiderte Luise. »Ich komme aus keinem guten Haus. Und ich bin mir nicht sicher, ob mein Kind in so eine Familie passt.«
»Nun mach aber einen Punkt!«, sagte Elisabeth scharf und zog Luise mit sich. Sie gingen nebeneinander die Straße entlang, Elisabeth hakte sich bei Luise unter, um sie zu sich heranzuziehen, während sie sprach. »Ich bin hier ein weit größeres Risiko eingegangen als du, vergiss das nicht. Es hätten auch ganz andere Leute aus dem Bekanntenkreis deiner Herrschaften sein können, daran habe ich vorher überhaupt nicht gedacht. Ich habe nur daran gedacht, dass ich dir versprochen habe, dir und deinem Kind zu helfen und dafür zu sorgen, dass es euch gutgeht. Und du hast dich entschieden, das Kind zur Welt zu bringen, was ich dir hoch anrechne. Tausende von Mädchen in deiner Lage tun das nicht. Ich mag mir nicht vorstellen, welche Gewissensnöte sie plagen.«
»Gar keine!«, sagte Luise trotzig und machte sich aus dem Griff frei. Elisabeth fürchtete einen Moment, sie würde davonlaufen. Doch Luise blieb stehen und begann zu weinen.
Überraschungen
Der Neujahrsempfang im Hause von Schwemer, der traditionell am ersten Sonntag im Januar stattfand, war glanzvoll wie immer gewesen. Alle, die in Berlin etwas darstellten, waren erschienen. Nun saß der Freiherr bleich und nervös zwischen Essensresten und halbleeren Gläsern. Nervös fingerte er die nächste Juno aus der Zigarettenschachtel, während die vorherige noch zwischen seinen Lippen glimmte. Die Ereignisse hatten sich in den letzten Stunden überschlagen, selbst für ihn, einen krisenerprobten ehemaligen Kolonialoffizier, war es zu viel gewesen. Mehr als einmal hatte er heimlich mit dem Finger geschnippt, um den Spuk zu beenden. Aber die Dinge nahmen ihren Lauf.
*
Der Tag hatte heiter und beschwingt begonnen. Wilhelm war am Vormittag aus der Kaserne kommend eingetroffen, wo er den Jahreswechsel verbracht
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