Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
des Freiherrn und stellte ihm jede nötige Unterstützung in Aussicht, zur Not auch militärische. Richard von Schwemer stand im Kreis seiner Gäste, sein Gesicht glühte, als er die Zeilen las.
Der hohe Gast blieb nur wenige Minuten. Der Freiherr begleitete ihn unter vielen Verbeugungen hinaus auf die Straße und hielt ihm eigenhändig die Tür des Vierspänners auf. »Der Kaiser baut auf Sie«, sagte von Hülsen und beugte sich aus dem Fenster der Kutsche. »Er würde sich wohler fühlen, Sie vor Ort zu wissen. Sie sind sein bester Mann!«
Kurz darauf wurde ein zweiter Brief gebracht, der Postbote überreichte ihn der Haushälterin am Dienstboteneingang, die ihn diskret Helène von Schwemer aushändigte. Die ersten Gäste machten sich zum Aufbruch bereit, der Freiherr hatte alle Hände voll zu tun, sie zu verabschieden, und bemerkte deshalb erst nach geraumer Zeit das Fehlen seiner Frau. Er fand sie in der Küche sitzend, ein Brief lag vor ihr auf dem Tisch.
»Was ist los?«, rief er, »die Leute wundern sich schon. Wo steckst du, was machst du hier?«
»Das siehst du doch«, antwortete sie. Dann hielt sie ihm das Papier entgegen.
»Was ist das?« Zögernd nahm er den Brief in die Hand und sah zuerst auf den Absender. »Aus Lagarde? Von Rogér? Was will der denn?«
»Soll ich dir deine Brille holen?«, fragte sie spitz, »oder soll ich dir vorlesen?«
»Nein, nein«, antwortete er, setzte sich auf einen Stuhl ihr gegenüber und hielt sich das Papier dicht vors Gesicht.
»Verehrte Madame«, las er, »ich muss Ihnen mitteilen, dass es gut wäre, Sie hier zu haben. Die Dinge entwickeln sich unübersichtlich. Man hat Ihren Pächter verhaftet. Mich verdächtigen die Deutschen gleichfalls, mit der Freiheitsbewegung zu konspirieren. Sie sagen, sie würden das Haus beschlagnahmen, man will hier eine deutsche Polizeieinheit einquartieren. Noch ist nichts dergleichen geschehen, aber man ist sehr unhöflich zu mir.«
»Sehr unhöflich?«, schnaubte der Freiherr. »Was soll denn das bedeuten? Und der Pächter, wie heißt er noch gleich?«
»Printemps. Man kann ihn doch nicht einfach verhaften!«
»Kann man offenbar doch. Irgendetwas wird schon dran sein, deutsche Polizisten tun nichts dergleichen ohne Grund. Ich fand den Mann immer schon etwas seltsam, wenn du mich fragst.«
»Darum geht’s jetzt aber nicht. Es ist das Gut meiner Eltern, deiner Schwiegereltern! Ich werde umgehend hinreisen.«
»Das wird nicht möglich sein. Du hast gehört, dass der Kaiser mich in Afrika braucht. Einer von uns muss hier sein.«
»Dein Kaiser wird sich schon zu helfen wissen, Rogér hingegen nicht. Außerdem ist es meine Heimat, was man von dir und Afrika schwerlich behaupten kann. Genug diskutiert, die Gäste wollen gehen, du hast es selbst gesagt.«
Sie erhob sich und verließ die Küche.
*
Richard von Schwemer zündete sich erneut eine Zigarette an, während um ihn herum die Tische abgeräumt wurden. Er hatte das Gefühl, man zog ihm den Teppich unter den Füßen weg. Erst Elisabeth, dann die Bechsteins, dann Lagarde, und zu guter Letzt hatte das Hausmädchen auch noch einen Schwächeanfall erlitten. Sie hatte schon seit Wochen gekränkelt, wir werden uns ein neues suchen müssen, dachte er. Und wer kümmert sich um mich? Nur der Kaiser – er weiß, was er an mir hat! Ich werde ihn nicht enttäuschen, ich kenne meine Pflichten. »Unhöflich!«, murmelte er, »wenn’s das nur ist. Franzosen-Mimosen …!«
Bewegung
Der Zug schwankte, als er in hohem Tempo durch die Kurve fuhr. Es war ein heißer Tag, man hatte die Fenster der Abteile geöffnet, so dass der beißende Rauch der Lokomotive in die Waggons drang. Alle Abteile waren besetzt, auf den Fluren standen Menschen dicht gedrängt, zu ihren Füßen Gepäckstücke. Wilhelm hatte für sich und Adalbert Fensterplätze in einem der letzten Waggons reserviert. Sie waren auf dem Weg zum Lungen-Sanatorium in Stralsund. Die Wasserkur des Wunderdoktors hatte Adalberts Probleme nicht gebessert, im Gegenteil, die Atemnot, die dem Jungen vor allem nachts zu schaffen machte, wurde schlimmer.
Adalbert war eingeschlafen, sein Kopf lehnte an Wilhelms Schulter. Das rhythmische Rattern der Schienen ermüdete auch ihn, er zwang sich, die Augen offen zu halten. Sie fuhren durch flaches Land, an Dörfern und Gehöften vorbei. Der Himmel war bedeckt, nur gelegentlich riss die Wolkendecke auf, und Sonnenstrahlen machten den Ruß auf den Scheiben des Waggons sichtbar. Wilhelm zog vorsichtig
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