Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
gelassen?«
»Ich war bei Johann von Drewitz, du weißt, der Schulfreund deines Vaters. Er ist jetzt Statthalter von Elsass-Lothringen. Ich habe ihm geschrieben und umgehend eine Audienz bekommen. Seine Residenz ist gesichert wie ein Königspalast seit dem Vorfall in Metz. Du weißt schon …«
Wilhelm hatte davon gelesen: Ein junger deutscher Offizier hatte einen Bäckergesellen auf offener Straße mit dem Bajonett erstochen, weil er ihn nicht korrekt gegrüßt hatte. Im Elsass demonstrierten Tausende auf den Straßen, in Deutschland berichteten die Zeitungen tagelang über den Vorfall: Man feierte den jungen Offizier, Karikaturen zeigten ihn als Helden, der dem »Franzmann das freche Maul stopft«. Trotzdem kam es zu einem Verfahren vor dem Militärgericht, der Offizier wurde zu sechs Tagen Arrest verurteilt. Im Elsass wurde eine Ausgangssperre verhängt.
Helène hatte Wilhelm erzählt, wie sie von einem Fahrer des Statthalters in Lagarde abgeholt und zu dessen Amtssitz gefahren worden war. »Wir müssen die Leute davon abhalten, noch mehr Schaden anzurichten«, hatte ihr von Drewitz erklärt, nachdem er Helène mit einem Handkuss begrüßt hatte. Sie saßen in seinem riesigen Amtszimmer, ein Adjutant hatte Gebäck und Kaffee gebracht. »Wissen Sie, Helène – ich hoffe, ich darf Sie noch beim Vornamen nennen –, man muss hier mit äußerstem Fingerspitzengefühl vorgehen«, erklärte er. »Die Franzosen haben es mit der Ehre wie kein anderes Volk – wem sage ich das! Der kleinste Anflug von Missachtung, und es gibt riesiges Theater. Das mit dem Bäckerjungen konnten wir da natürlich überhaupt nicht gebrauchen. Na ja, der hitzige Offizier ist ja auch zur Rechenschaft gezogen worden.«
»Zur Rechenschaft?«, hatte Helène verblüfft gefragt und sich vorgebeugt. »Das nennen Sie zur Rechenschaft ziehen?«
Von Drewitz hob mahnend einen Finger. »Sie wissen sicherlich, dass viele ihm einen Orden verleihen wollten, sogar der Kaiser hat das befürwortet. Aber das Militär hat seine eigene Gerichtsbarkeit, wir lassen uns von niemandem hineinreden, nicht mal von ganz oben«, sagte er und verschränkte stolz die Arme.
Helène schluckte ihren Zorn hinunter und brachte das Gespräch auf den eigentlichen Grund ihres Besuches. Von Drewitz erklärte, aufgrund der alten freundschaftlichen Verbindungen sei er bereit, mit der örtlichen deutschen Polizei über das Weingut in Lagarde zu sprechen. »Es gibt hier genügend Räumlichkeiten, wo die ihre Leute einquartieren können, es muss sicherlich nicht das Gut eines deutschen Kolonialoffiziers sein«, sagte er.
»Richard ist zwar mein Mann«, erwiderte Helène, »aber das Gut gehört mir. Ich besitze es in der vierten Generation.«
»Das sollten wir nicht an die große Glocke hängen. Es macht die Dinge einfacher, wenn es einem Deutschen gehört, zumindest für den Moment«, sagte von Drewitz und tätschelte Helènes Hand. »Es ist, wie ich vorhin sagte: Die Franzosen und ihr Stolz …« Er lächelte wohlwollend. »Machen Sie sich keine Sorgen, ich regele das für Sie und Ihren Mann.«
»Da ist noch etwas …«, hob Helène an.
»Das«, fiel ihr von Drewitz ins Wort, der offenbar wusste, was sie meinte, »das steht auf einem anderen Blatt. Wenn Sie von diesem Mann reden, der für Sie gearbeitet hat, muss ich Ihnen leider sagen, dass ich nichts für Sie tun kann. Er sitzt ein und wartet auf seinen Prozess, wie einige hundert andere auch. Ihnen kann ich es ja sagen: Diese Widerständler hatten ein Attentat auf den Kaiser geplant, Sie wissen ja, wie gern er hier in den Bergen jagt. Ein Attentat!« Er sah sie entrüstet an. »Wissen Sie, wir sind sehr langmütig mit der Bevölkerung, wir haben Verständnis für ihre Sorgen. Viele haben ihre Wohnungen geräumt für deutsche Offiziersfamilien, das ist natürlich nicht schön. Aber diese Leute«, er beugte sich vor und stach mit dem Zeigefinger in die Luft, jedes Worte betonend, » diese Leute sind eine Gefahr!Diese Widerstandsnester werden wir mit Stumpf und Stil ausreißen!«
»Kann ich ihn trotzdem sprechen?«
»Nein!«
»Mein Mann meinte, wenn jemand das ermöglichen kann, dann Sie. Er legt wirklich großen Wert darauf …«
»Richard? Legt Wert darauf? Wie geht es ihm überhaupt?«
»Er ist ständig zwischen Berlin und den Kolonien unterwegs. In diesem Jahr ist er schon dreimal gereist. Er sagt, es ist ein Pulverfass. Aber – das ist alles streng geheim …«
Von Drewitz sah sie nachdenklich an. »Gut. Dann jetzt
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