Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
Vom Netzwerk:
Und Ihr Gepäck folgt in dem zweiten Wagen. Wissen Sie«, er beugte sich verschwörerisch vor und sagte, »der Kriegszustand hat durchaus seine angenehmen Seiten: Auf einmal werden mehr Dienstfahrzeuge zur Verfügung gestellt, als ich überhaupt gebrauchen kann. Früher musste ich monatelang Anträge stellen und bekam dennoch keinen zusätzlichen Wagen. Aber was soll’s – diese Unerfreulichkeiten sind jetzt vorbei.«
    Er gab mit einer knappen Handbewegung seinen Begleitern ein Zeichen, die umgehend die Gepäckstücke ergriffen und zu den drei auf der anderen Straßenseite wartenden Limousinen trugen – Helène konnte sich gerade noch rechtzeitig erheben. Von Drewitz beobachtete sie lächelnd, dann zündete er sich eine Zigarette an und bot Helène seinen Arm. »Wenn Sie bereit sind?« Im Vorbeigehen drückte er dem Kofferträger eine Münze in die Hand. »Was kann der gute Mann für die ganze Sache«, sagte er, während sie über den Platz zum seinem Wagen gingen. »Sie sind heute vermutlich sein einziger Kunde. Soll er sich einen Pernod gönnen.«
    Die Fahrt verlief ohne Unterbrechungen. Die üblicherweise verstopften Straßen waren leer, die Orte und Dörfer, durch die sie fuhren, wirkten verlassen. Helène und von Drewitz saßen im Fond, der Chauffeur hatte die Fensterscheiben heruntergekurbelt, der Windzug drohte immer wieder Helènes Hut aus dem Auto zu wehen. Nachdem sie ihn zum wiederholten Mal mit einer raschen Handbewegung gerade noch festgehalten hatte, bemerkte von Drewitz ihr Problem. »Ich könnte den Fahrer bitten, die Fenster zu schließen, aber dann würden wir hier vor Hitze zerfließen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen: Hut oder Hitze!«Er lachte überschwänglich über seinen Scherz, wurde dann aber abrupt ernst und fragte: »Wieso sind Sie zurückgekehrt? Ausgerechnet jetzt? Hat Ihnen wirklich niemand gesagt, wie die Dinge stehen? Die Mobilmachung in Deutschland und Frankreich läuft auf Hochtouren, morgen oder übermorgen werden die Kriegserklärungen zugestellt – Richard ist doch über alles im Bilde, ich verstehe ihn nicht.«
    »Er ist in Togo. Und ich habe derzeit niemanden, der unser Anwesen hütet, ich muss mich um einiges kümmern, Sie wissen: Es ist das Haus meiner Vorfahren, ich kann es nicht sich selbst überlassen. Gerade jetzt …«
    Er nickte und sah geistesabwesend aus dem Fenster. »So sind mir die Franzosen am liebsten«, sagte er und schnippte die Zigarettenkippe aus dem Auto, »unsichtbar! Was haben diese Wackes uns in den letzten Jahren für Ärger bereitet! Immer wieder mussten wir ihnen klarmachen, wo ihr Platz ist. Aber diesmal werden es auch die Dümmsten begreifen, glauben Sie mir, meine Liebe, es wird kein Aufmucken mehr geben. Und wer sich nicht rechtzeitig entscheidet, wo er hingehört, kann da leicht zwischen die Mühlsteine geraten.« Er zündete sich eine neue Zigarette an, legte dann eine Hand auf Helènes und sagte beruhigend: »… es sei denn, man hat jemanden, der eine schützende Hand über einen hält.«
    *
    Der Besuch bei Rogér erschütterte Helène. Der alte Hausdiener, der schon für ihre Großeltern gearbeitet hatte und den sie seit Kindheitstagen kannte, lag in seiner kleinen Kate hinter dem Friedhof von Lagarde flach atmend auf einer Couch im einzigen Raum des Hauses. Die Fenster waren mit Wolldecken verhängt, sie entdeckte ihn im Halbdunkel erst, als er hustete. Helène nahm einen Stuhl und setzte sich zu ihm. Sie sahen sich eine Weile schweigend an, dann hob er langsam seine knochige Hand und berührte damit kurz die ihre. »Sie waren mir immer die Liebste, Madame«, sagte er, »Sie und Ihre Frau Mutter. Ich freue mich sehr, Sie noch einmal zu sehen, ich hatte es kaum mehr zu hoffen gewagt.« Er sahsie nachdenklich an. »Oh, und Ihr Herr Vater natürlich auch«, beeilte er sich hinzuzufügen und verzog das Gesicht zu einem Lächeln, »ganz besonders sogar! Ich habe keinen feineren Herrn gekannt als ihn. Und ich lebe immerhin schon eine ganze Weile hier.«
    »Sie sollten nicht hier im Halbdunkel in diesem stickigen Zimmer liegen, hier kriegt man ja kaum Luft. Warum öffnen Sie nicht die Fenster?«
    »Sie klemmen. Außerdem muss ich meine Kräfte einteilen, das Aufstehen fällt mir nicht mehr so ganz leicht.«
    Helène erhob sich, ging zum Fenster und zog eine der Decken zur Seite. Ein Lichtstrahl fiel auf den Tisch und beleuchtete einen Teller, auf dem die Reste einer kargen Mahlzeit lagen, das Weinglas, das daneben stand, war noch halb gefüllt.

Weitere Kostenlose Bücher