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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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zu vergewissern, dass sie nicht entdeckt worden war. Es war fast immer Rogér, der in solchen Momenten kurz zu ihr hinaufsah und ihr zuzwinkerte, bevor er weiter um den Tisch ging und Essen nachlegte. Sie konnte sicher sein, dass er sie nicht verraten würde.
    Jetzt saß sie neben Rogér und sorgte dafür, dass er stets als Erster aufgelegt bekam, wenn ein neuer Gang hereingetragen wurde. Sie beugte sich zu ihm und fragte ihn leise: »Haben meine Eltern eigentlich gewusst, dass ich dort oben saß und zusah?«
    »Natürlich«, antwortete er, »jedes Mal. Ich glaube, sie hätten sich Sorgen gemacht, wenn Sie nicht dort gesessen wären. Darf ich Ihnen etwas verraten?«
    Helène beugte sich noch etwas näher zu ihm und hielt ihr Ohr dicht vor seinen Mund. Leise sagte Rogér: »Einmal hörte ich, wie Ihre Mutter zu Ihrem Vater sagte: Unser Gespenst ist erschienen. Ich hob meinen Blick – und da saßen Sie. Aber sie haben immer so getan, als würden sie Sie nicht bemerken, sonst hätte es Ihnen vermutlich keinen Spaß gemacht.«
    Helène nickte. »Ich danke Ihnen dafür, dass Sie all die Jahre hindurch in diesem Haus …«, hob sie an, als sie von ungewohnten Klängen, die aus dem Salon herüberdrangen, unterbrochen wurde. Für einen Moment der Verblüffung schwieg die ganze Runde, dann brandete Beifall auf: Jemand hatte den alten, verstimmten Flügel geöffnet und spielte darauf. Einige erhoben sich, gingen nach nebenan und begannen zu tanzen. Helène trat in den Durchgang zwischen den beiden Zimmern, lehnte sich an die Tür und sah den Tänzern zu. Am Flügel saß der Apotheker und spielte »Tout Paris«, Helènes Lieblingswalzer. Als er für einen Moment den Kopf hob und in ihre Richtung sah, hob sie ihr Glas und prostete ihm zu. Dann wanderte ihr Blick zum Fenster, und sie erstarrte, als sie in Adèles Augen sah.
    *
    Adèle hatte sich seit mehreren Tagen in der Nähe des Weinbergs aufgehalten, einmal hatte sie es sogar gewagt, im Haus ihres Vaters zu nächtigen. Sie war stets im Dunkeln gekommen und vor dem Morgengrauen wieder davongeschlichen. Während des Tages hielt sie sich in der Ruine im Wald versteckt. Hin und wieder, wenn der Hunger sie trieb, lief sie zum Schleusenwärter, der einer der wenigen war, bei dem sie sich sicher fühlen konnte: Es gab jetzt täglich Verhaftungen, seit die deutsche Polizei alles daransetzte, auch der letzten Widerständler habhaft zu werden. Das unbewohnte Gutshaus der von Schwemers erwies sich als ein sicherer Ort für geheime, nächtliche Zusammenkünfte. Die überraschende Ankunft Helène von Schwemers hatte solch ein geplantes Treffen verhindert, die meisten Mitglieder der Gruppe waren sofort wieder untergetaucht. Nur Adèle blieb in Lagarde und hatte mehrmals versucht, mit Helène Kontakt aufzunehmen. Es war jedes Mal daran gescheitert, dass Nachbarn aus dem Dorf bei ihr erschienen waren.
    Überrascht hatte sie an diesem Abend von einer Anhöhe aus beobachtet, wie fast das gesamte Dorf im Gutshaus erschien. Sie war zum Haus geschlichen und hatte in der Abenddämmerung durch die Fenster der Küche und des Speisesaals gespäht. Als dieMusik zu spielen begann, war sie zum Fenster des Salons gehuscht und hatte ihr Gesicht an die Scheibe gepresst – sie traute ihren Augen nicht, als sie eine ausgelassene Gesellschaft beim Tanz erblickte! Und sie wäre vor Schreck beinahe vom Fenstersims gefallen, auf den sie sich stützte, als sie plötzlich direkt in Helènes Augen sah, die sie offenbar schon seit einer Weile fixiert hatten. Wie gebannt starrte sie zurück, unfähig, sich zu bewegen.
    Kurz darauf öffnete sich die Küchentür, und Helène trat hinaus. Sie verharrte eine Weile still und versuchte, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Das Knacken eines trockenen Zweiges verriet ihr, dass Adèle unmittelbar vor ihr stand.
    »Lebt er?«, fragte Adèle unvermittelt.
    »Wer?«
    »Sie wissen, wen ich meine, Madame.«
    Helène seufzte und sagte: »Ja, das ich nehme an. Warum sollte er nicht.«
    »Wo ist er?«
    »Sein Bataillon ist nach Belgien versetzt worden.«
    »Belgien?«, wiederholte Adèle erschrocken. »Sie wissen, was das heißt?«
    »Ich glaube nicht«, antwortete Helène, »was heißt es denn?«
    »Alle sagen, dass die Deutschen hier bei uns einmarschieren werden. Aber das war ein Irrtum, sie kommen von Norden. Über Belgien.«
    »Und woher weißt du das alles so genau?«
    »Es ist nicht schwer, die Wahrheit zu erfahren, wenn man sie wissen will. Haben Sie Nachricht von ihm

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