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Zeitenlos

Zeitenlos

Titel: Zeitenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shelena Shorts
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übermannt zu werden.
    Ich betrachtete das Panorama und überlegte, was die Menschen, die inmitten dieser sich kilometerweit erstreckenden Landschaft wohnten, wohl gerade machten. Vermutlich würden sie tun, was auch immer um diese Zeit zu tun war, während ich hier saß und den ungewöhnlichsten aller ungewöhnlichen Vormittage erlebte. Ich drehte mich um und versuchte, den Frust abzuschütteln, der mich einmal mehr zu packen drohte.
    Das große Gemälde weckte erneut meine Aufmerksamkeit. Ich erinnerte mich daran, wie es mich schon bei meinem ersten Besuch in seinen Bann gezogen hatte. Beim zweiten Mal war es genauso überwältigend. Ich sah die beiden Figuren an und studierte sehr genau, wie ihre Arme sich im Gruß berührten. Doch dann korrigierte ich meinen ersten Eindruck. Die melancholische Aura des Bildes schien auszudrücken, dass sie sich nicht begrüßten, sondern widerwillig Abschied nahmen. Ich fühlte mit ihnen, denn ich erkannte Weston und mich in diesem Bild. Und obwohl ich mir einredete, mich von ihm trennen zu können, wusste ich angesichts der Schwermut, die ich bei diesem Gedanken empfand, dass ich das nicht wollte.
    Ich war erleichtert, als Wes mit zwei Gläsern Cranberrysaft wiederkam, den ich zum Frühstück am liebsten trank. Ich trank sofort einen Schluck und merkte erst jetzt, wie durstig ich war. Das galt auch für meinen Hunger, der sich regte, als ich den Zimtduft roch, der aus der Küche kam.
    Einige Minuten später brachte er zwei Teller, die mit Rührei, Toast sowie einer halben, im Ofen mit Butter, Zimt und braunem Zucker gebackenen Grapefruit beladen waren.
    Meine Augen wurden groß. »Das ist mein Lieblingsessen.«
    »Wirklich?«, sagte er, klang jedoch überhaupt nicht überrascht.
    Ich griff nach meiner Gabel und überlegte, ob er vielleicht Gedanken lesen konnte. Er setzte sich wie meine Mutter an die Längsseite des Tisches, wodurch ich mich noch mehr zu Hause fühlte. Wir aßen, und ich wartete darauf, dass er etwas sagte. Nach einigen Minuten begann er zu reden.
    »Danke.«
    »Danke für was?« Ich stellte mich nicht absichtlich dumm. Natürlich konnte ich mir denken, dass er mir dankte, weil ich ihm in den letzten vierundzwanzig Stunden das Leben gerettet hatte, aber ich war neugierig, ob er auf irgendetwas Spezielles Bezug nahm.
    »Danke, dass du mir vertraut hast«, stellte er klar.
    »Ich vertraue dir nicht«, antwortete ich ruhig und unmissverständlich.
    Er lächelte. »Ich habe es wohl nicht besser verdient. Aber du hast mir genug vertraut, um mich nicht den Sanitätern zu überlassen.«
    Ich frühstückte weiter, weil ich mich beim Essen besser konzentrieren konnte. »Gutes Stichwort«, sagte ich zwischen zwei Bissen. »Fang doch da an. Vielleicht könntest du mir mal erklären, warum du lieber gestorben wärst, als ins Krankenhaus gebracht zu werden.«
    »Ich wäre nicht gestorben«, antwortete er beiläufig.
    Ich sah ihn an und lachte kurz auf. »Sehr witzig. Für mich hast du wie der Tod höchstpersönlich ausgesehen. Wie würdest du das denn sonst nennen?«
    »Schlafen.«
    Ich blickte ihn an und begriff, dass er das ernst meinte. »Schlafen. Ich bitte dich. Für mich sah das stark nach Unterkühlung aus.«
    »Es war normal.«
    »Was heißt hier normal?«, erwiderte ich.
    Er seufzte tief. »Es war normal, weil ich meine Körpertemperatur nicht regulieren kann.«
    Ich zog die Brauen hoch. »Warum nicht?«
    »Ich bin nicht wie du«, sagte er ruhig und sah mich dabei aufmerksam an. Ich kaute weiter und wartete ungeduldig darauf, dass er fortfuhr, aber er suchte nach Worten.
    »Warum kannst du deine Körpertemperatur nicht regulieren?«, fragte ich nach.
    »Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll.«
    »Versuch’s doch einfach.«
    »Nun ja, als ich sechzehn war, wurde ich sehr krank. Man brachte mich zu Dr. Oliver Thomas, und er nahm mich auf.« Ich hörte aufmerksam zu, spürte aber meine Anspannung, als der Name des Arztes fiel. »Man versuchte, mir mit einer sehr seltenen Bluttransfusion das Leben zu retten.« Er warf mir einen unsicheren Blick zu.
    Ich hob eine Braue. Seine Erklärung stellte mich nicht zufrieden. »Dr. Thomas ist 1959 gestorben. Wie soll das möglich sein?«
    Sein Unbehagen wuchs mit jeder Minute, und er mied meinen Blick.
    » Wie soll das möglich sein?«
    Er sah mich wieder an. »Weil er mir die Transfusion 1916 gegeben hat.«
    Ich kniff die Augen zusammen und überlegte, in welche Irrenanstalt ich ihn am besten einliefern

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