Zeitenlos
Krankenwagen zu rufen, sollte die Temperatur weiterhin so hoch sein. Er hatte Glück, diesmal waren es 39, 4 Grad; immer noch zu hoch, aber nicht mehr alarmierend. Ich zog die Decke zurück und beobachtete ihn noch eine Zeit lang. Als seine Temperatur schließlich auf 37, 7 Grad fiel, entspannte ich mich. Danach bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich einen Bewusstlosen beinahe eine ganze Nacht knapp einen Meter von einem brennenden Kamin entfernt allein gelassen hatte. Nicht wirklich intelligent. Der Abend forderte seinen Tribut.
Kapitel 8
Erste Enthüllungen
A m nächsten Morgen war ich erheblich ruhiger. Nach dem Zähneputzen ging ich sofort nach unten und maß wieder seine Temperatur. 36,1 Grad, ein bisschen niedrig, aber nicht besorgniserregend. Er schien friedlich zu schlafen, und ich suchte nach einer Beschäftigung, um mir die Zeit zu vertreiben. Es gab nicht viele Zimmer in seinem Haus, in denen ich mir nicht wie ein Eindringling vorkam, aber im Arbeitszimmer fühlte ich mich recht wohl, weil ich dort geschlafen hatte.
Erst im Morgenlicht fielen mir die unzähligen Bücher so richtig auf. An zwei Wänden waren sie vom Boden bis zur Decke zu Hunderten gestapelt. Bei den meisten handelte es sich um Sachbücher über Medizin und Tiere, dazwischen lagen aber auch einige Romane. Eine Reihe von Büchern ohne Titel auf dem Umschlag fiel mir besonders auf. Ich nahm einige aus dem Regal und blätterte sie durch. Zum Teil waren es Kontobücher, zum Teil Fachzeitschriften.
Ich fuhr mit der Hand die Buchrücken entlang, bis ich zu einem Band kam, der irgendwie anders aussah. Es war ein vergleichsweise dünnes, in Leder gebundenes Buch in einem größeren Format, das sehr auffällig war. Ich öffnete behutsam die erste Seite, und mein Blick fiel auf eine extrem schräge Handschrift, die schwierig zu lesen war. Die verblasste Tinte und das vergilbte Papier machten die Sache nicht leichter, aber ich konnte die Worte »Medizinisches Tagebuch, 1. Januar 1916 – 31. Dezember 1916, Dr. Oliver Thomas, London, England« entziffern. Ich war mir sicher, dass es sich hierbei nur um diesen Arzt handeln konnte, über den ich gelesen hatte. Ich setzte mich und begann konzentriert zu lesen.
2. Januar 1916
Ich habe die Arbeit von Dr. Oscar Haase mit mäßigem Erfolg fortgesetzt. Malaria bereitet uns große Sorge, da immer mehr Soldaten die Krankheit aus fremden Ländern nach England einschleppen. Um ihre Söhne und nahen Angehörigen von der schrecklichen Krankheit heilen zu lassen, bringen viele Mütter sie zu mir, weil sie darauf hoffen, dass meine Experimente mit Alligatorblut-Transfusionen sie retten können.
31. Januar 1916
Einige Patienten haben lange genug gelebt, um festzustellen, das Alligatorblut-Serum die Symptome der Malaria vorübergehend lindert, doch innerhalb eines Tages wurden sie als Reaktion auf das Blut schwer krank. Das ansehen zu müssen ist schrecklich. Die Hauptursache sind Gerinnungsprobleme während der Transfusion.
20. Februar 1916
Ich habe meine Forschungen fortgesetzt und beschlossen, der Probe weitere Bluttypen zuzusetzen. Ein Bluttypus beschäftigt mich noch, und ich möchte ihn nicht ausführlicher dokumentieren, bis ich weitere Erkenntnisse habe. Der andere Typus, der mich zuversichtlich stimmt, ist das Alligatorblut. Es ist erwiesen, dass die Proteine in dieser speziellen Probe eine Vielzahl von Bakterien und Viren abtöten. Ob das auch für den menschlichen Körper gilt, bleibt abzuwarten.
3. April 1916
Wegen der Komplexität meiner Forschungsarbeit und wachsender Anforderungen habe ich eine Schwesternschülerin eingestellt, Amelia. Sie hält mich über den Zustand meiner Patienten auf dem Laufenden und versorgt sie, während ich weiter nach einer bahnbrechenden Heilmethode forsche.
1. Mai 1916
Heute breche ich zu einer Reise auf, um die Proben zu erwerben, die ich für die Rezeptur meines neuen Serums benötige. Ich bin guter Hoffnung, dass ich rechtzeitig zurückkehren werde, um die wartenden Patienten retten zu können.
Ich blätterte um und bemerkte, dass einige Seiten des Tagebuchs nicht mehr da waren. Jemand hatte sie herausgerissen. Ich blätterte hin und her, um zu sehen, welcher Zeitabschnitt fehlte. Nach dem Eintrag am 1. Mai ging es am 15. November 1916 weiter. Sechseinhalb Monate fehlender Tagebucheinträge. Warum war so viel verschwunden? Was war mit dem Doktor passiert? War er rechtzeitig zurückgekommen? Was für ein Serum hatte er mitgebracht? Ich hatte so viele
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