Zeitenlos
würde.
»1916?« Ich wollte nur sicherstellen, dass ich mich nicht verhört hatte.
Wes nickte. »Dr. Thomas gab mir eine sehr seltene Alligatorblut-Transfusion, die ich aus irgendeinem Grund überlebt habe – seither bin ich in den letzten einundneunzig Jahren nur um drei Jahre gealtert.«
Das war der Moment, in dem ich aufstand, um meine Sachen zusammenzupacken. Meine Reisetasche war oben, und ich trug immer noch meinen Pyjama, aber ich beschloss, das Haus so zu verlassen, und stopfte meine Klamotten in die Tasche. Wes folgte mir ins Arbeitszimmer.
»Bleib bloß weg von mir!«, warnte ich.
Gehorsam blieb er in der Tür stehen. Ich griff hastig nach meiner Tasche und wollte gehen. Doch Wes versperrte mir den Weg und machte nicht den Eindruck, als würde er Platz machen wollen.
»Ich möchte gehen«, sagte ich, ohne ihn anzusehen.
Er baute sich vor mir auf. »Du wolltest die Wahrheit wissen.«
Ruckartig fuhr mein Kopf hoch, und ich sah, dass er mich beobachtete. Seine Augen blickten zugleich mitfühlend und gequält. Weil er in keiner Weise aggressiv wirkte, fühlte ich, wie mein Selbstbewusstsein und meine Zuversicht zurückkehrten.
»Ja, wollte ich. Die Wahrheit !«, stellte ich klar. Ich ließ meine Tasche fallen und ging zum Schreibtisch. »Nicht irgendwelchen erfundenen Unsinn, der direkt daraus stammen könnte!« Ich deutete auf das Tagebuch, das auf dem Schreibtisch lag.
Bevor ich begriff, was er vorhatte, stand er schon vor mir und packte mich an den Schultern. Ich zuckte zusammen.
»Meinst du wirklich, ich würde dir so etwas erzählen, wenn es nicht wahr wäre? Glaubst du, dass ich darum gebeten habe?«
»Was weiß ich. Ich habe keine Ahnung, warum du so einen Blödsinn erzählst, aber ich werde nicht mehr lange genug hier sein, um es herauszufinden. Lass mich jetzt bitte durch!«
Er nahm mein Gesicht in beide Hände und zwang mich, ihn anzusehen.
»Überleg doch mal, Sophie. Du hast selbst meine Temperatur gemessen, hast die Werte gesehen. Es waren 26,6 Grad. Ich würde hier nicht stehen, wenn ich gelogen hätte. So etwas würde ich nicht erfinden.«
Ich zog eine Grimasse und versuchte sein Gerede zu ignorieren. »Bitte, Sophie. Ich schwöre es. Ich lüge dich nicht an; es war so, wie ich gesagt habe, und wenn du deshalb nicht mit mir zusammen sein möchtest, dann lass ich dich für immer gehen. Aber denk bitte nicht, dass ich dich angelogen habe. Das würde ich niemals tun.«
Meine Knie gaben nach, und ich sank zu Boden. Er folgte meiner Bewegung, ließ mein Gesicht nicht los und verhinderte damit, dass ich völlig zusammenbrach. Ich fühlte mich schwach und war psychisch am Ende.
»Sieh mich an, Sophie!« Seine Stimme klang sanft. »Du weißt, dass ich dich niemals verletzen würde.«
Ich konnte die Augen kaum aufhalten und nahm alles nur durch einen Tränenschleier wahr. Er beugte sich zu mir und legte seine Stirn gegen meine.
»Warum passiert das alles?«, heulte ich. »Ich kann das alles nicht glauben, ich kann nicht.«
»Doch, das kannst du. Ich weiß, dass du das kannst«, sagte er weich.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das ist doch alles verrückt.«
»Sag mir, was ich tun kann, damit du es verstehst.«
Ich schloss die Augen und spürte die Berührung seiner Hände. Sie waren kühl. Mir rann ein Schauer über den Rücken, als ich in Gedanken wieder seinen eiskalten Körper auf dem Landungssteg vor mir sah. Ich erinnerte mich auch an das eigenartige Spiegelbild in seinen Augen und an andere Vorfälle, bei denen mir nicht klar war, ob ich sie mir einbildete oder sie tatsächlich geschehen waren.
»Du musst schon etwas konkreter werden«, sagte ich und wischte die Tränen weg. »Du musst es mir irgendwie beweisen.«
»Okay«, sagte Wes. Er zog mich an den Ellenbogen hoch, führte mich zum Sofa und ging zu den Bücherregalen. Während er sie langsam abschritt, fuhr er mit den Fingern behutsam die Buchrücken entlang. Schließlich fand er, wonach er gesucht hatte, und zog das Buch heraus.
Es war ein medizinisches Nachschlagewerk. Er öffnete es auf einer bestimmten Seite und setzte sich neben mich. Ich beugte mich über das Buch, das teilweise auf meinem Oberschenkel ruhte, und mir fiel eine Bildunterschrift ins Auge: Dr. Oliver Thomas, 1934. Das Bild zeigte einen blonden Mann mit runder Brille. Die weichen Gesichtszüge und das eckige Kinn ließen ihn gleichzeitig einflussreich, intelligent und nett aussehen.
»Siehst du das Bild?«, fragte er. Ich nickte.
Er blätterte
Weitere Kostenlose Bücher