Zeitenlos
Slone«, sagte Wes.
»Du musst aufhören, mich so zu nennen. Ich bin Gayle«, antwortete sie und umarmte ihn.
»Okay, hallo, Gayle«, kam er ihrem Wunsch nach.
Er überreichte ihr die wunderschön eingepackte Schachtel.
Sie zog die Schürze aus und führte uns ins Wohnzimmer. Dort saßen wir rechts und links von ihr und sahen zu, wie sie das Geschenk auspackte. Da er mich nicht eingeweiht hatte, hatte ich keine Ahnung, was sich in der Schachtel befand, und war daher ebenso neugierig wie meine Mutter.
Als sie vorsichtig den Deckel abhob, war zuerst nur Seidenpapier zu sehen. Es muss etwas Zerbrechliches sein , dachte ich. Sie nahm das Geschenk heraus und entfernte das Seidenpapier. Zum Vorschein kam eine erlesene antike Teetasse in Weiß und Blau.
»Die ist von Dr. Thomas«, stellte ich fest. Sowohl meine Mutter als auch Wes sahen mich mit großen Augen an.
»Sie ist wunderschön«, sagte Mama. »Wer ist Dr. Thomas?« Ich warf Wes, der mich unverwandt anstarrte, einen Blick zu. Er sagte nichts. Ich wandte mich wieder Mama zu, die auf eine Antwort wartete.
»Er war Wes’ Onkel«, sagte ich und betrachtete die Tasse, die jetzt auf der passenden Untertasse stand. »Es ist ein Erbstück.«
Mama fuhr zu Wes herum, der mich immer noch ansah.
»Wes, das kann ich nicht annehmen. Die solltest du behalten und nicht mir geben«, sagte sie.
Ich räusperte mich, um Wes zu signalisieren, dass eine Antwort von ihm erwartet wurde. Er blinzelte und wandte den Blick von mir ab.
»Ich möchte, dass Sie die Tasse bekommen, Gayle. Es würde mir viel bedeuten.«
»Also dann, Wahnsinn!«, erwiderte sie und bewunderte die feinen Details. »Danke. Ich werde gut darauf aufpassen.«
Kurze Zeit später nahm sie Tasse und Untertasse und ging wieder in Küche, immer noch voller Begeisterung über das Design. Wes rutschte auf den Platz, den sie freigemacht hatte, sodass er nur wenige Zentimeter von mir entfernt saß.
»Woher wusstest du das?«, wollte er wissen.
»Was?«
»Dass die Teetasse Dr. Thomas gehörte.« Seine Miene war angespannt.
Ich lehnte mich zurück, als könne ich so diesem unerwarteten Verhör entgehen. »Ich weiß es nicht. Sie sah alt aus, und ich habe angenommen, dass sie ihm gehörte.«
»Warum hast du nicht geglaubt, dass sie ein Erbstück meiner Mutter war?«, hakte er nach, was eine völlig berechtigte Frage war.
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, reiner Zufall. Warum?«
Er studierte mein Gesicht eine ganze Weile, ehe er sich wieder entspannte. Das war genau der Moment, in dem es klingelte. Mama flog fast aus der Küche. »Das ist Tom«, sagte sie nervös auf dem Weg zur Tür. Gut erzogen, wie er war, stand Wes auf, um den Neuankömmling zu begrüßen. Meine Mutter führte Tom herein. Dafür, dass er schon graue Haare hatte, war er ein attraktiver Mann. Er war sehr viel älter, als ich mir einen Freund meiner Mutter vorgestellt hätte, aber er sah gut aus und schien lieb zu ihr zu sein. Er gab ihr alles, was sie wollte, und es war schön, zu sehen, dass jemand sie verwöhnte. Sie hatte es verdient.
»Tom, du kennst Sophie ja schon. Und das ist Weston«, sagte sie mit einer Handbewegung zu Wes. Tom ging um das Sofa herum, und Wes kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen.
»Wes, schön, dich kennenzulernen. Ich bin Tom Lawrence«, sagte er.
»Ich freue mich auch, Sie kennenzulernen«, entgegnete Wes höflich.
Sowohl Tom als auch meine Mutter lächelten auf eine etwas eigenartige Art und Weise, fast so wie stolze Eltern.
»Mama, hast du etwas dagegen, wenn wir einen Spaziergang machen?«
Sie sah uns an. »Nein, überhaupt nicht, Kinder. Geht nur. Tom kann mir in der Küche helfen. Aber bleibt nicht so lange, das Essen ist bald fertig.«
Wir nickten beide und verabschiedeten uns. Nachdem Wes sich mit seinem schweren Mantel und einem Hut dick angezogen hatte, griff ich nach seiner Hand. Ich trug ebenfalls mehr als sonst. Das hatte ich mir angewöhnt, damit Wes’ Zuviel an Kleidung nicht so auffiel.
»Sorry«, sagte ich, als wir losgingen. »Ich musste nur für einige Minuten raus. Das war einfach zu bizarr.«
»Das kannst du wohl sagen.«
Ich fand es merkwürdig, dass er der gleichen Ansicht war. »Warum das?«, wollte ich wissen.
»Weil ich ihn kenne.«
Mein Kopf schoss hoch. »Woher?«
»Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«
»Wann?«
»Als ich zum ersten Mal nach Berkeley ging. Vor dreißig Jahren.«
»Oh Mann, ich hatte ja keine Ahnung. Es tut mir leid. Ich hätte dich
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