Zeitenlos
er mich an. »Was passiert, wenn Weston Sophie nicht retten kann?«
»Du hast mich doch schon gerettet«, erinnerte ich ihn und legte eine Hand auf mein Herz. Angesichts des geklauten Zitats entspannten sich seine Gesichtszüge ein bisschen. »Ich liebe dich, Wes. Aber ich muss wissen, was du willst.«
Er rutschte neben mich. Langsam schüttelte er den Kopf, die Augen geschlossen. Ich wartete unruhig auf seine Antwort.
»Ich will dich«, murmelte er.
»Bist du sicher?«, fragte ich nach.
Er nickte, und mir entfuhr unwillkürlich ein erleichterter Seufzer. Neben ihm zu sitzen fühlte sich so richtig an. Ein wohliges Gefühl durchströmte mich, aber mir war auch bewusst, dass wir von jetzt an unbedingt ehrlich miteinander umgehen mussten, wollten wir die vielen Zweifel für immer begraben.
»Ich muss die ganze Geschichte erfahren. Ich will alles wissen, was du weißt.«
»Wo soll ich anfangen?«
»Am Anfang, dort, wo alles begonnen hat. Erzähl mir jedes Detail.« Ich rutschte zur Seite, damit er sich ausstrecken konnte. Er lag mir zugewandt, während ich auf dem Rücken lag, an die dunkle Decke starrte und mich für meine vergessene Vergangenheit rüstete.
»Bist du sicher, dass du das hören willst?«, fragte Wes.
»Absolut.« Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Er atmete tief durch und sammelte seine Gedanken. »Ich war sechzehn Jahre alt, fast siebzehn, aber eigentlich immer noch ein Kind. Ich bin sehr behütet aufgewachsen, um es mal ganz vorsichtig auszudrücken. Meine Mutter erlaubte mir nur selten, nach draußen zu gehen und das zu tun, was Jungs in meinem Alter normalerweise so machen. Und wenn sie es zuließ, war sie immer dabei, um aufzupassen, dass ich mich nicht verletzte.
Als ich endlich siebzehn geworden war, erlaubte sie mir, einmal in der Woche allein in die Buchhandlung zu gehen. Ich war alt genug, eigene Interessen zu haben, und mit den Büchern, die sie mir mitbrachte, konnte ich nicht viel anfangen. Also ging ich einmal in der Woche los, um mich selbst im Laden mit den Büchern zu versorgen, die ich gerne lesen wollte.
An jenem Tag sah ich ein Mädchen, das meine ganze Welt auf den Kopf stellen sollte. Sie kam mir auf dem Gehweg entgegen, und weil ihr ganzes Auftreten so wirkte, als hätte sie etwas Wichtiges vor, beobachtete ich sie neugierig. Je näher sie kam, desto besser konnte ich sie erkennen. Sie hatte klare grüne Augen, die sich auffällig von ihrem dunklen Haar abhoben. Ich konnte den Blick nicht von ihr wenden, als sie vorbeiging, und war so fasziniert, dass ich tatsächlich kehrtgemacht habe und ihr gefolgt bin. Mir war klar, dass sie einige Jahre älter war als ich, aber das war mir egal. Ich war wie hypnotisiert. Eine ziemlich lange Zeit folgte ich ihr. Es war nicht ganz einfach, mit ihr Schritt zu halten, denn sie ging sehr zügig, und meine Knie fingen bald an zu schmerzen.«
»Lag das an deiner Krankheit?«
»Ja. Das Blut staute sich häufiger in meinen Gelenken, die ziemlich wehtaten, wenn ich mich überanstrengte. Heute wäre das wohl vergleichbar mit Arthritis.« Ich nickte verstehend und er erzählte weiter: »Ich folgte ihr lange genug, um zu bemerken, dass sie Schwesterntracht trug und in einem Sandsteingebäude im medizinischen Viertel verschwand.
Von da an verging kein Tag, an dem ich nicht an sie dachte. Die nächsten zwei Wochen hielt ich mich, so oft es ging, in jener Straße auf, in der Hoffnung, dass sie mir zufällig über den Weg laufen würde, aber ich hatte kein Glück. Meine Knie wurden jeden Tag schlimmer, aber ich nahm die Schmerzen in Kauf, weil ich sie unbedingt wiedersehen wollte. Sie war einfach wunderschön.
Die Weihnachtswoche kam, sie war mir immer noch nicht über den Weg gelaufen, und so gab ich schließlich auf. Meine Gelenke taten unendlich weh, und am liebsten wäre ich den ganzen Tag im Bett geblieben, doch dann fiel mir ein, dass ich noch kein Geschenk für meine Mutter hatte. Also beschloss ich, noch einmal nach draußen zu gehen.
Seit dem Tod meines Vaters hatte meine Mutter nichts mehr geschenkt bekommen, und deshalb suchte ich nach etwas ganz Besonderem.« Er hielt gedankenverloren inne. »Damals habe ich das Armband gekauft, das du jetzt trägst.«
Ich hob den Arm, um einen Blick auf mein Weihnachtsgeschenk zu werfen. »Das hier? Das ist genau das Armband?«
Er nickte. »Ja, ich habe es in einem Geschäft in London für sie gekauft und war auf dem Weg nach Hause, als ich das Mädchen wiedersah. Sie war auf der anderen
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