Zeitenlos
geredet, warum er letzten Monat ausgeflippt ist und Schluss gemacht hat.« Ich nahm eine Gabel aus der Schublade und setzte mich wieder, während meine Mutter den Geschirrspüler einräumte. Sie ließ unkommentiert, was ich gesagt hatte, und das schien mir ein gutes Zeichen zu sein. Mama hörte zu und verzichtete auf voreilige Verurteilungen. »Und dann ging es darum, dass er sich so eigenartig verhalten hat und mir ständig gefolgt ist und so.« Ich aß eine Gabel voll Spaghetti.
»Er ist dir gefolgt?«
Ups! Ich hatte vergessen, dass sie davon ja gar nichts wusste. »Na ja, mehr oder weniger. Er schien immer genau dort aufzutauchen, wo ich auch war. Und deshalb habe ich geglaubt, dass er mir gefolgt ist«, fügte ich hinzu. Spaghetti gehören zu meinen Lieblingsgerichten, und diese waren wirklich lecker. Jetzt war ich froh, dass ich hier saß und aß, statt mich in meinem Zimmer einzuigeln. Dafür hatte ich später noch reichlich Zeit. Und außerdem tat es einfach gut, zu reden.
»Ist ja auch egal«, fuhr ich fort. »Heute bin ich also zu ihm gefahren, weil ich wissen wollte, warum er immer wieder auftaucht. Ich wollte, dass er sich klar entscheidet. Entweder mein Freund sein oder mich in Ruhe lassen. Nicht dieses Hin und Her.«
»Das kann ich nachvollziehen. Und was hat er dazu gesagt?«, fragte meine Mutter, die mittlerweile bei den Töpfen angekommen war. Dass sie mit dem Rücken zu mir stand, war möglicherweise der Grund, warum ich keine Probleme damit hatte, zum ersten Mal eines dieser Jungs-Gespräche mit ihr zu führen. Trotzdem musste ich vorsichtig sein mit dem, was ich sagte. Ich wollte nicht einfach eine ganz neue Geschichte erfinden, denn ich sehnte mich wirklich nach einem guten Rat. Aber ich konnte ihr auch nicht die Wahrheit erzählen – dass ich in einem Jahr oder so sterben würde und er das nicht zum dritten Mal live miterleben wollte. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen.
»Er hat gesagt, dass er mich sehr mag. Aber er möchte keine feste Bindung eingehen, weil er schon so viele Menschen verloren hat, die ihm nahestanden. Er hat Angst, dass ihm mit mir das Gleiche passiert.« Das klang wirklich gut. Kaum, dass ich es gesagt hatte, musste ich grinsen.
»Ach ja, richtig. Er hat beide Eltern verloren. Wie traurig«, sagte sie. »Der arme Junge.«
»Ja, ich weiß.«
»Und habt ihr euch versöhnt?«, wollte sie wissen.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube schon.« So funktionierte das nicht. Sie war lieb, aber ich brauchte konkrete Ratschläge. Diese Botschaft musste irgendwie bei ihr ankommen, ohne sie zu alarmieren.
»Mama, ich habe das Gefühl, dass er sich abgeschottet hat, damit er sich nie wieder mit dem Thema Tod auseinandersetzen muss.«
»Weißt du, Liebling, du kannst nicht dein ganzes Leben darauf warten, dass du irgendwann sterben wirst. Du hast ein Leben zu leben, und wenn der Tod kommt, kannst du nur hoffen, dass du all die Dinge getan hast, die du tun wolltest. Irgendetwas wird er doch tun wollen. Das möchte doch jeder.«
»Also was soll ich machen?«
»Hat er gesagt, was er machen will?«
Zu diesem Zeitpunkt aß ich nicht mehr, denn ich hatte nicht mehr sehr viel Appetit. Ich starrte auf meinen Teller. »Er hat gesagt, dass er es nicht verkraften könne, noch einmal jemanden zu verlieren, den er liebt.«
»Hat er tatsächlich ›liebt‹ gesagt?«
»Ja, warum?«
»Nun, ich hatte keine Ahnung, dass ihr beide es so ernst meint. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.« Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Spüle. »Dieses ganze Gerede über den Tod macht mich trübsinnig. Ihr seid viel zu jung, um über so etwas zu reden.«
»Und was mache ich jetzt?« Mittlerweile sehnte ich verzweifelt eine Antwort herbei, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Ich liebte ihn, so viel stand fest, aber ich wollte auch nicht, dass er sich immer und ewig Sorgen machen musste, worauf das Ganze aber hinauslief. Verdammt noch mal, ich fühlte mich einfach beschissen.
»Liebling, darüber dürft ihr nicht nachdenken, sondern nur über die Dinge, die ihr tun möchtet. Nicht über die, vor denen ihr euch fürchtet. Jeder stirbt irgendwann. Das ist nun mal so. Macht das Beste aus der Zeit, die ihr habt. Welchen Sinn hätte das Leben, wenn ihr nicht gemeinsam die Dinge tut, die euch Spaß machen, solange ihr das könnt?«
Langsam begriff ich, worauf sie hinauswollte, und es ergab Sinn. Zumindest in diesem Moment. »Danke, Mama, das
Weitere Kostenlose Bücher