Zeitenlos
zurückzuhalten. Ich strich ihm über die Stirn und redete weiter. »Deine Mutter ist unten. Sie hat Dr. Thomas angefleht, dir zu helfen, und das geht nur auf diesem Weg. Du musst durchhalten. Das neue Blut arbeitet sich jetzt durch deinen Körper.«
Er schüttelte den Kopf. »Es soll aufhören, bitte lass es aufhören!«
Ich legte meine Wange an seine. »Ich kann nichts für dich tun, aber ich verspreche dir, dass es bald vorbei ist. Deine Blutergüsse bilden sich bereits zurück. Das Serum wird dich heilen, und es wird dir schon bald besser gehen.«
Er schüttelte immer noch mit dem Kopf, und unsere Köpfe bewegten sich langsam im gleichen Rhythmus. Ich verließ ihn nicht, denn er sollte spüren, dass er nicht allein war. Nach einer Weile machte ich Anstalten aufzustehen, um seine Mutter zu holen, doch er sagte stöhnend: »Nein! Verlass … mich … nicht!«
»Ich will nur deine Mutter holen«, erwiderte ich.
Er atmete heftig. »Nein, bitte … Sie soll … mich so … nicht sehen.«
»Okay, okay, schon gut«, sagte ich.
Wie ein irrer Wissenschaftler ließ Dr. Thomas Weston nicht eine Sekunde aus den Augen. Er überprüfte seine Finger, seine Zehen, jeden Zentimeter seines Körpers und machte sich Notizen.
»Unglaublich«, kommentierte er.
Ich konnte an den Qualen, die Weston gerade erlitt, wirklich nichts Unglaubliches entdecken.
»Ich kann sehen, wie das Blut durch die Venen pulsiert. Es ist erstaunlich«, sprach Dr. Thomas enthusiastisch weiter.
Ich schloss die Augen in dem Versuch, diese momentane Euphorie nicht an mich herankommen zu lassen und konzentrierte mich darauf, näher zu Wes zu rücken, damit er meine Anwesenheit spürte.
Die Transfusion verlief schlimmer als bei den anderen Patienten. Bei ihnen, so erinnerte ich mich, hatten die Schmerzen und Schreie vielleicht zehn Minuten gedauert, bevor sie nach mehreren Stunden Ruhe wieder an Intensität zunahmen. Wes dagegen hatte andauernde Schmerzen und kämpfte drei volle Stunden gegen die Fesseln an. Dann begann er auf einmal unkontrolliert zu zittern.
»Was ist los, Doktor?«, fragte ich.
Dr. Thomas machte einen ebenso überraschten Eindruck wie ich. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Das ist eigenartig.« Er fühlte Westons Puls. »Merkwürdig, der Puls wird langsamer. Aber die Blutergüsse sind weg.« Er sah sich um und überlegte, was Wes noch brauchen konnte. »Hol ihm noch einige Decken.«
Ich eilte nach draußen und kam mit mehreren Decken zurück. Wes fror und benötigte unzählige Lagen, denn wir mussten irgendwie seinen Schüttelfrost in den Griff bekommen.
In dem Moment unterbrach Wes meinen tranceartigen Zustand mit einem leichten Knuff. »Sophie, ich glaube, wir sollten später weitermachen.«
»Was? Warum?«, erwiderte ich schwer atmend.
»Du regst dich immer mehr auf und scheinst ganz weit weg zu sein. Ich will dir keine Angst machen.«
Ich drehte mich zu ihm und rutschte noch näher an ihn heran. »Nein, mit mir ist alles in Ordnung. Ich glaube, ich habe mich nur erinnert. Bitte, erzähl weiter.«
Wes sagte einige Augenblicke kein Wort, und in dieser Zeit war mein Kopf wie leer gefegt. Ich sah überhaupt nichts und war daher begierig darauf, zu erfahren, wie es weiterging. »Erzähl mir, was passiert ist, nachdem ich dir die Decken gebracht habe.«
Sein Kopf schoss zurück. »Ich habe nichts davon gesagt, dass du mir Decken gebracht hast. So weit bin ich noch nicht. Woher wusstest du das?« Seine Augen blickten mich im Dunkeln durchdringend an.
»Das habe ich doch gerade gesagt. Ich glaube, dass ich mich an einiges erinnere. Machst du jetzt bitte weiter?«
»Ist das dein Ernst?«
»Ja. Erzähl mir, was als Nächstes passiert.«
»Sophie, wenn du dich tatsächlich erinnern kannst, ist das ne wirklich große Sache.«
»Ich weiß, aber jetzt sehe ich gar nichts mehr. Es ist alles weg. Du musst weiterreden.«
Er sah mich lange forschend an und trug dann weiter aus seiner Erinnerung vor. Doch ich bemerkte, dass er mich nicht aus den Augen ließ.
»Am zweiten Tag war mir dank der Decken warm genug. Dr. Thomas hatte mich außerdem in sein Arbeitszimmer verlegt, weil es dort einen großen Kamin gab. Man hatte mich etwas hergerichtet, bevor meine Mutter kam.« Er hielt inne, um zu sehen, wie ich darauf reagierte. Ich hielt mich bedeckt und machte nur deutlich, dass ich aufmerksam zuhörte. Also erzählte er weiter.
»Dr. Thomas war geradezu euphorisch, dass ich die ersten vierundzwanzig Stunden geschafft hatte, und
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