Zeitenlos
sein, aber du bist es trotzdem. Vielleicht brauchst du mich aus irgendeinem Grund, sodass ich wegen dir zurückkomme.«
»Was meinst du damit, Sophie?«
Ich rückte näher zu ihm. »Du hast mir früher schon zweimal gesagt, dass du mich liebst. Beim ersten Mal habe ich wohl dein Leben gerettet. Und beim zweiten Mal?«
Er dachte einen Moment nach. »Das war einige Jahre nach dem Tod von Dr. Thomas.«
»Was hast du da gemacht? Warst du krank?«
»Noch nicht, aber ich wäre es geworden, wärst du nicht zurückgekehrt.«
»Verstehst du nicht, Wes?«
Tief in Gedanken runzelte er die Stirn. Ich tippte seine Schulter an. »Warum sollte ich zurückkommen und dir rein zufällig über den Weg laufen? Du hast doch selbst gesagt, dass du an Schicksal glaubst.«
Wes sah mich grübelnd an. »Und was bedeutet das letztendlich für uns?«, wollte er dann wissen.
Ich drehte mich um, sodass ich ihm genau gegenübersaß. »Es bedeutet, dass ich wegen dir hier bin.«
Ich meinte, was ich sagte, fühlte es in jeder Faser meines Körpers. Weston gehörte zu mir und ich zu ihm. Wir waren füreinander bestimmt, und zwar so sehr, dass nicht einmal der Tod uns trennen konnte. Wenn ich das begriff, war aber auch ganz klar, dass es eine höhere Macht geben musste, die mein Schicksal lenkte. Damit meine Seele zuerst gehen und dann zu Wes zurückkommen konnte, musste ich daran glauben, dass ich noch eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Wir mussten nur warten, bis sich diese Bestimmung zeigte.
So sehr Wes die Zukunft auch fürchtete, konnte ich die Geschenke, die uns die Vergangenheit gemacht hatte, nicht einfach ignorieren. Der Begriff des Seelenverwandten nahm eine völlig neue Bedeutung an.
An jenem Abend schlief ich in seinen Armen ein, und obwohl er immer noch der Meinung war, dass mein Tod immer näher kam, schlief ich völlig friedlich. Ich wusste, dass ich schon einmal gelebt hatte. Unsere Liebe war zeitlos und absolut einmalig.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Wes schon weg, aber das war nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich war dagegen die kleine Schachtel, die zusammen mit einem Zettel auf meinem Nachttisch lag. Darauf stand:
Sophie,
du bist genauso schön wie an dem Tag, als wir uns zum ersten Mal trafen.
In Liebe
Wes
Ich las die Worte und musste unwillkürlich lächeln. Während ich überlegte, was für ein »zeitloses« Geschenk er wohl für mich zurückgelassen hatte, öffnete ich langsam die Schachtel. Darin lag ein verblasstes Foto von Wes, wie er zwischen einem jungen Dr. Thomas und einer Krankenschwester saß, die mein Ebenbild war.
Kapitel 16
Wieder zusammen
N achdem ich erst einmal verstanden hatte, dass es eine Vergangenheit gab, die alles, was ich mir vorgestellt hatte, weit übertraf, wollte ich jede Einzelheit wissen – das Gute, das Schlechte und das ganz Schlechte. Ich konnte mich an nichts erinnern, aber Gott sei Dank war Wes willig, die Lücken zu füllen.
Er beschloss, mir vor Ort zu zeigen, wo und wie wir uns im zweiten Teil unserer gemeinsamen Geschichte kennengelernt hatten. An einem meiner freien Nachmittage fuhr er mit mir nach Norden. Unterwegs erzählte er mir über sein Leben nach der Wandlung.
Nachdem er sowohl seine Mutter als auch Amelia verloren hatte, brauchte Wes lange, um sich zu erholen, aber schließlich besserte sich seine seelische und körperliche Verfassung, sodass er transportfähig war. 1920 brachte Dr. Thomas ihn nach Amerika, wo Wes als sein Neffe aufwuchs. Während seiner Genesung hatten sie erkannt, dass er nicht nur stärker und schneller geworden war, sondern auch über ein beispielloses Sehvermögen und Gehör verfügte. Vor allem aber hatte das Alligatorblut unter seiner Haut eine Schutzschicht gebildet, die nahezu undurchdringlich war.
Da Wes zunehmend rastloser wurde, kaufte Dr. Thomas 1921 den Ford, der noch heute in seiner Garage steht. Vor der Transfusion hatte Wes nie allein herumziehen dürfen, doch dieser Wagen lehrte ihn, dass es für ihn keine Grenzen gab. Als er sich in das Auto setzte, so erzählte er, habe er sich zum ersten Mal in seinem Leben wie in einem Rausch gefühlt. Er lebte ein Leben ohne Angst, fuhr Autorennen, war mit dem Motorrad unterwegs und tat alles, um seine Grenzen auszutesten – und um sich davon abzulenken, dass er einsam war.
Dann wurde 1940 bei Dr. Thomas eingebrochen, und Wes tauchte ab. Das ganze Haus war auf den Kopf gestellt worden, doch gestohlen hatten die Täter nur einige Tagebücher von Dr. Thomas von vor 1916, die
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