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Zeitenlos

Zeitenlos

Titel: Zeitenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shelena Shorts
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meiner Mutter ging es ebenso.« Wes wurde immer leiser, tief in Gedanken versunken.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    Er drückte mich sanft. »Nichts. Das ist die Geschichte. So wurde ich, wie ich heute bin.«
    »Das ist alles?«, fragte ich, wohl wissend, dass da noch mehr war.
    »Mehr haben sie mir nicht erzählt.«
    Er hielt mit etwas hinter dem Berg, und ich würde ihn nicht so einfach davonkommen lassen.
    »Wes, du musst mir alles erzählen. Wir dürfen keine Geheimnisse mehr voreinander haben.«
    »Was willst du sonst noch wissen?«
    »Alles, ich will alles wissen. Was passierte anschließend mit dir? Was wurde aus Amelia? Wie haben wir uns ineinander verliebt?«
    Er lachte milde. »Für den Fall, dass es dir nicht aufgefallen ist, ich war vom ersten Tag an in dich verliebt.«
    »Okay, ich will wirklich alles wissen. Du musst mir auch den Rest erzählen. In allen Einzelheiten«, sagte ich drängend.
    Er atmete erneut tief durch und erzählte weiter: »Als ich aufwachte, kam es mir vor, als drehte sich das Zimmer, und dieser Zustand wurde mit jedem Tag schlimmer. Nur wenn ich die Augen geschlossen hielt, ging es einigermaßen. Du hast mir schließlich die Augen verbunden, um es mir erträglicher zu machen. Dr. Thomas war überzeugt, dass es mir mit fortschreitender Genesung besser gehen würde. Weder er noch meine Mutter bemerkten zunächst etwas von meiner Verwandlung – aber du.
    Tatsächlich warst du die Erste, der auffiel, dass meine Temperatur nicht normal war. Als Dr. Thomas mich vor den Kamin setzte, hast du innerhalb von Minuten bemerkt, dass mir zu heiß wurde. Dr. Thomas schob das zunächst darauf, dass ich Fieber hatte, doch du warst der Ansicht, dass es meine Umgebung war, die mich heiß oder kalt werden ließ. Das war der Zeitpunkt, an dem ihm der Verdacht kam, dass mich das Alligatorblut verändert hatte.
    Du warst auch diejenige, die merkte, dass mein Zeitgefühl nicht mehr stimmte. Ich konnte dich nicht richtig sehen, habe aber immer gespürt, wenn du bei mir warst. Es gab da wohl einen Tag, an dem ich mich offensichtlich immer wieder bei dir bedankt habe, weil du dich so gut um mich gekümmert hast. Du wolltest mir etwas zu essen oder trinken geben, und ich behauptete steif und fest, dass du mir schon etwas gebracht hättest. So kamst du darauf, dass irgendetwas nicht stimmte.
    Du hast darauf bestanden, dass Dr. Thomas mich auf meinen Geisteszustand untersuchte, und so habt ihr herausgefunden, dass für mich Tage wie Minuten vergingen. Daraufhin stellte er seine Alligatorblut-Forschung unverzüglich ein und unterrichtete meine Mutter über alles. Niemand hatte eine Ahnung, was genau mit mir geschehen war, daher stimmte sie zu, dass ich unter seiner ständigen Beobachtung bleiben sollte.«
    Wes’ Stimme wurde erneut immer leiser, und ich spürte, dass er nicht wirklich weiterreden wollte. Ich streichelte seinen Arm in der Hoffnung, dass er es dennoch tun würde. »Und was geschah als Nächstes?«
    »Als Nächstes erkrankte meine Mutter an der Spanischen Grippe. Ich konnte mich nicht einmal von ihr verabschieden. Ich erinnere mich nur noch daran, dass du mir einen Brief brachtest, in dem sie schrieb, wie sehr sie mich liebte, das war’s. Sie besuchte mich bewusst nicht, weil sie Angst hatte, mich anzustecken. Für mich war das Schlimmste, dass es so schnell ging. Ich konnte ihr nicht einmal mehr sagen, wie lieb ich sie hatte, weil ich durch meine Krankheit alles nur wie durch einen Schleier wahrnahm. Bevor ich überhaupt begriff, was los war, war es auch schon vorbei. Ich stand kurz davor, den Verstand zu verlieren, aber …«
    »Aber was?«, fragte ich.
    »Du hast mich erneut gerettet. Ich wollte weder essen noch trinken, lag nur noch mit geschlossenen Augen da und blendete die Außenwelt aus. Nach einer Weile hast du angefangen, mir die Gedichte von Whitman vorzulesen. Deine Stimme war wie Musik in meinen Ohren. Ich konzentrierte mich auf nichts anderes und schaffte es schließlich, das Tempo deiner Stimme zu verlangsamen. Das war das erste Mal, dass ich diesen verschwommenen Zustand eine Zeit lang kontrollieren konnte.«
    »Was meinst du mit ›eine Zeit lang‹?«
    Ich spürte, wie er sich verkrampfte.
    »Eines Tages war ich kurz davor, den Verstand zu verlieren. Dr. Thomas brachte mir einen Brief von dir, und es schienen nur Minuten vergangen zu sein, seit du mir das letzte Mal vorgelesen hattest. Du schriebst, du seist froh, dass es mir besser ging und es für dich keine größere

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