Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
versucht, Sebastiano zu töten, angefangen bei dem Duell mit Reginald über den Mordversuch von Mr Smith im East End bis hin zu dem verhinderten Attentat vor der Werkstatt von Mr Stephenson in der James Street. Alle Anschläge hatten Sebastiano gegolten, nicht mir. Das konnte folglich nur eines bedeuten: Er kam in den Visionen von Mr Fitzjohns Spiegel nicht mehr vor und hatte deshalb sterben sollen. Mich hatte Fitzjohn dagegen bisher geschont; er hatte sogar Reginald angewiesen, mich nur bewusstlos zu schlagen. Anscheinend ging er davon aus, dass ich noch irgendwas Nützliches für ihn tun würde. Wir mussten unbedingt herausfinden, worum es dabei ging!
All das sprudelte aus mir heraus, bevor ich es ganz zu Ende gedacht hatte. José lächelte anerkennend. »Das hast du gut durchschaut. Es ist ein wertvoller Hinweis für den bevorstehenden letzten Akt.«
»Und was ist unsere Aufgabe in diesem letzten Akt?«, wollte Sebastiano wissen. »Was sollen wir jetzt tun?«
»Auf die Bühne gehen und mitspielen.«
In den folgenden Tagen wechselten wir zu unserem Schutz mehrfach den Unterschlupf. Bald stellte sich zwar heraus, dass José richtig vermutet hatte – Fitzjohn war genau wie zuvor Reginald abgetaucht und spurlos verschwunden. Seine nächsten Schritte plante er im Verborgenen. Trotzdem wagten wir nicht, in unser Haus am Grosvenor Square zurückzukehren, denn jeder vom Gesinde konnte ein von Fitzjohn bezahlter Mörder sein. Für unsere Sicherheit war es definitiv besser, wenn wir versteckt operierten statt lebende Zielscheiben zu bieten.
Auf Josés Rat hin schlüpfte Sebastiano in täglich wechselnde Verkleidungen, um unerkannt zu bleiben. Und darin war er, wie ich zugeben musste, ziemlich gut. Mal ging er als gebückt schlurfender Bettler mit speckigem Schlapphut und verdrecktem Umhang, mal als unscheinbarer Arbeiter in grauem Kittel und mit Holzschuhen, mal als alter Krämer. Wenn überhaupt, erkannte man ihn nur aus nächster Nähe wieder, denn je nach Kostümierung veränderte er auch mit anderen Tricks sein Äußeres: Er klebte sich einen falschen Bart an, schminkte sich hässliche Pusteln und Narben ins Gesicht, stülpte sich eine grauhaarige Perücke über, steckte sich Backpflaumen in die Wangen oder schnallte sich ein Kissen um – bei der Auswahl der unterschiedlichen Methoden erwies er sich als höchst erfinderisch.
Ich selbst verkleidete mich ebenfalls so gut es ging, denn die Vorstellung, einer von Fitzjohns Spitzeln könnte sich unbemerkt auf meine Fährte setzen und auf diese Weise Sebastiano entdecken, war der pure Horror für mich. Ich hatte immer noch große Angst um ihn, denn ich glaubte, dass Fitzjohn besonderen Wert darauf legte, Sebastiano auszuschalten.
José war davon überzeugt, dass Fitzjohns Spiegel die Erklärung dafür lieferte – eine Einschätzung, die mir seither nicht mehr aus dem Kopf ging. Die seltsamen Zeitspiegel zeigten jedem Betrachter immer nur Teilausschnitte einer alternativen Zukunft. Zu sehen waren bloß bestimmte Szenerien eines Ereignisses, und es waren keineswegs immer dieselben, sondern es kam ganz darauf an, wer den Spiegel gerade verwendete. Möglicherweise würde der Spiegel mir mehr zeigen als Fitzjohn. Ich dachte lange über das Problem nach und entschied schließlich, dass wir irgendwie versuchen mussten, es herauszufinden. Einen Plan dafür hatte ich auch schon.
Ich redete lange mit Sebastiano darüber, der jedoch strikt dagegen war. »Es ist ein völlig überflüssiges Risiko. Auch wenn Fitzjohn sehr überstürzt verschwunden ist – ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass er so was Wichtiges wie seinen Spiegel in Foscary House zurückgelassen hat.«
José war anderer Ansicht. »Es kann gut sein, dass er ihn absichtlich dort gelassen hat.«
»Warum sollte er so was Blödes tun?«
Ich antwortete an Josés Stelle. »Weil er will, dass wir hingehen und hineinschauen.«
»Nein«, korrigierte José mich. »Er will, dass du hineinschaust. Zweifellos hat der Spiegel ihm gezeigt, dass du am Abend des geplanten Umsturzes anwesend sein wirst, während andere, wichtige Blickwinkel ihm verborgen geblieben sind. Er hofft, dass du ihm diese fehlenden Blickwinkel liefern kannst. Du würdest in dem Spiegel dasselbe Ereignis sehen wie er selbst, nur von einer anderen Warte aus. Durch dich könnte er eine bessere Sicht auf die Dinge gewinnen, die geschehen werden. Eine, die vollständiger ist.«
Sebastiano verzog grimmig das Gesicht. »Diese bessere Sicht auf die
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