Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
verzeihen, denn er ist immerhin Earl. Und außerdem reich wie Krösus.« Sie musterte mich erwartungsvoll. »Du sagst, dass du ihn nett findest?«
Ich verstand, worauf sie hinauswollte. »So war das nicht gemeint. Mit nett meinte ich … einfach nur nett.«
Sie lächelte versonnen, als wäre meine Auffassung von nett genau das, worauf es ankam. »Er wird zweifellos noch in dieser Woche seine Karte bei dir abwerfen.«
Damit meinte sie vermutlich die zu dieser Zeit herrschende Sitte, dem Butler die Visitenkarte zu geben, der sie dann auf dem Silbertablett in den Salon brachte, worauf man entscheiden musste, ob man den Besucher empfangen wollte. Das Ganze war im Prinzip wie ein Anruf – man sah die Nummer im Display und konnte überlegen, ob man drangehen wollte oder lieber nicht, mit dem Unterschied, dass der Anrufer schon im Haus rumhing und vom Butler weggeschickt werden musste, wenn man gerade nicht in Stimmung für Besuch war.
»Und ohne Frage wird er zum Ball ins Almack’s kommen«, fuhr Iphigenia frohlockend fort. »Was für Aussichten! Wusstest du, dass er einer der besten Freunde des Prinzregenten ist?«
»Nein, woher auch?« Ich wollte ihr gerade erklären, dass ich überhaupt keine Ambitionen hatte, mich von dem Typen umwerben zu lassen, Earl hin oder her. Aber dann fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, welche Anweisungen José uns hinterlassen hatte.
Gesellige Anlässe wahrnehmen – so viele wie möglich. Einflussreiche Leute treffen und die Zeichen deuten.
Als Earl war dieser George Clevely auf der Adelsleiter ganz weit oben, darüber kam nur noch die königliche Familie. Und er war mit dem Prinzregenten befreundet, einflussreicher ging’s kaum noch. Damit war die Sache klar – ich musste auf den Ball, damit ich etwaige Zeichen deuten konnte. Auch wenn das bedeutete, dass alle Welt mich für eine heiratswillige Erbin hielt.
Wir fuhren noch eine Runde durch den Hyde Park, und auf der anschließenden Rückfahrt zum Grosvenor Square kündigte Iphigenia an, dass sie mich am nächsten Morgen zu einem Einkaufsbummel abholen werde, weil ich dringend noch ein schönes Ballkleid bräuchte. Meinen Einwand, ich hätte doch schon so viele neue Kleider, wischte sie erheitert beiseite.
»Das sind doch nur einfache Tageskleider, du Lämmchen!«
Ich hatte den Eindruck, dass sie statt Lämmchen eigentlich eher Landei sagen wollte, erhob jedoch keine weiteren Einwände. Sie meinte es ja nur gut, und außerdem brauchte ich sie, um auf diesen Ball zu kommen. Davon abgesehen war sie wirklich ganz nett, wenn man sich ihre snobistische Art mal wegdachte.
Sie setzte mich am Grosvenor Square ab und versprach, am nächsten Vormittag um Punkt elf wieder da zu sein.
Inzwischen war es fast halb sieben. Ich zog meinen Mantel aus und übergab ihn Bridget, die sich sofort daranmachte, ihn auszubürsten.
Mrs Fitzjohn fragte mich, ob ich einverstanden sei, wenn um acht Uhr das Dinner serviert würde, da Seine Lordschaft für diese Zeit seine Rückkehr angekündigt habe. Ich hatte ziemlichen Hunger und hätte gern jetzt schon eine Kleinigkeit gegessen, aber ich ahnte, dass ich damit die ganze Küchenlogistik durcheinandergebracht hätte, also sagte ich bloß, Dinner um acht sei mir recht.
Um die Wartezeit zu überbrücken, beschloss ich, mir den Shakespeare-Band noch mal genauer anzusehen. Doch als ich in Sebastianos Zimmer nach dem Buch suchte, wurde ich von seinem Kammerdiener Meeks erwischt, der in Schnappatmung verfiel, als er mich dort herumwühlen sah. Anscheinend war es ein absolutes No-Go, als Dame das Schlafzimmer eines Herrn zu betreten, egal ob Schwester oder nicht.
»Ich suche bloß das Buch, das mein Bruder heute Mittag mitgebracht hat«, erklärte ich. »Ein Band mit Shakespeare-Stücken.«
Meeks rang um Fassung. »Den hat Seine Lordschaft im Herrenzimmer weggeschlossen und den Schlüssel mitgenommen.«
»Oh, wirklich?«
Meeks nickte nur würdevoll.
Hm, das war ärgerlich. Auf der anderen Seite allerdings auch wieder vernünftig, denn alles, was José uns hinterlassen hatte, musste vertraulich behandelt werden. Wir hatten auch die Notiz aus dem Jane-Austen-Roman in den Schreibtisch gesperrt. Sie musste geheim bleiben, denn nur so konnten wir sicherstellen, dass diese Informationen nicht an unbefugte Dritte gelangten. Wobei unbefugte Dritte kein Ausdruck war, den ich mir selbst dafür ausgesucht hatte – er stammte von Sebastiano, und gemeint waren damit die Bösen. Von denen konnte praktisch hinter
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