Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
genauso gut helfen. Peinlicherweise öffnete mir Meeks, der mir hochnäsig mitteilte, Seine Lordschaft befinde sich im Bad und sei im Übrigen bereits déshabillé , was die vornehme französische Umschreibung dafür war, dass Mylord sich schon die Klamotten ausgezogen hatte. Bei dieser Erklärung musterte Meeks mich, als wäre ich soeben aus einem sehr tiefen und sehr ländlich gelegenen Loch gekrochen. Ich gab es auf und entschied, ausnahmsweise im Kleid zu schlafen.
Ich stürzte wieder in den tiefen Schacht, dem alles verschlingenden Monster entgegen, das unten auf mich wartete. Beinahe konnte ich den fauchenden Atem der Bestie spüren, die vom Anbeginn der Zeit bis zur Ewigkeit alles fressen wollte, Sekunden, Tage, Jahre – ganze Zeitalter. Ich versuchte, mich zu einer Kugel zusammenzurollen, doch dadurch fiel ich nur noch schneller. Ich stürzte wie ein Geschoss dem Ende der Zeit entgegen. Hastig korrigierte ich meinen Fehler und streckte Arme und Beine aus, als könnte ich der schrecklichen Anziehungskraft auf diese Weise Widerstand leisten. Tatsächlich fiel ich langsamer, und dadurch ermutigt, vollführte ich rudernde Bewegungen, ähnlich wie beim Schwimmen. Plötzlich packte mich ein Sog, ich wurde zur Seite weggerissen, in eine Art dunklen Tunnel, der von dem Schacht wegführte. Mein Sturz hatte aufgehört, es war nun eher ein Treiben wie in einem Wasserstrom, nur dass es weder Wasser noch Luft um mich herum gab, sondern nur Schwärze. Doch zu meinem Erstaunen wurde es langsam heller, der Tunnel endete unvermittelt und spuckte mich auf einer weiten Ebene aus. Es war eine triste, kahle Welt unter einem grauen Himmel, erfüllt von schneidendem Wind, der mir das Haar ums Gesicht peitschte. Ich stolperte vorwärts, doch weit und breit gab es nichts in dieser Einöde, abgesehen von schroffen Bergketten, die sich verschwommen in der Ferne abzeichneten. Dann drehte ich mich einmal um meine eigene Achse, und da sah ich es. Ein großes, tunnelartiges Tor mitten in der Landschaft. Das musste die Öffnung sein, aus der ich gekommen war. Musste ich wieder dorthin zurück?
»Du findest mich immer, du seltsames Kind«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich fuhr herum und sah zu meinem Erstaunen Esperanza vor mir. Klein und verhutzelt und grauhaarig, uralt wie die Zeit selbst. Ihre Augen waren traurig und liebevoll zugleich.
»Bist du echt?« Ich streckte die Hand aus, doch als ich die Alte berührte, zerflossen ihre Umrisse, und ich erkannte, dass sie nur eine Illusion war.
»Ich bin nie echt«, sagte sie mit leisem Lachen.
»Aber ich bin dir doch begegnet! In Venedig! Und in Paris! Du hast mir die Maske gegeben! Und das Jucken in meinem Nacken – das habe ich auch von dir.«
»Du bist einem Echo begegnet. Einer Projektion.«
»Und José? Ist er auch bloß ein … Echo?«
»Er ist einer der wenigen Alten, die noch körperlich die Zeiten durchschreiten und bei den Menschen leben.«
»Wer seid ihr? Wo kommt ihr her?«
»Von sehr weit her. Einem Ort, an dem Raum und Zeit eins sind. Vom Ende der Ewigkeit.« Sie streckte die Hand zum Himmel aus, der sich daraufhin in ein tiefes, schimmerndes Schwarz verwandelte, das von Abermillionen funkelnden Sternen bestäubt war.
»Aber warum tut ihr Alten das alles? Warum manipuliert ihr die Zeit? Warum bekämpft ihr einander?«
Statt zu antworten, bewegte Esperanza ihren Zeigefinger, und über uns am Firmament flossen Sterne ineinander und bildeten ein glitzerndes Muster – es sah aus wie ein Schachbrett.
»Ein Spiel!«, rief ich. »Ihr spielt mit der Zeit! Und die Menschen sind eure Figuren!«
»Nicht mit der Zeit«, sagte sie. » Um die Zeit.«
»Und dieses … Ding?«, flüsterte ich. »Das dort unten im Schacht – was ist es?«
»Das Nichts. Das Ende des Spiels.«
Der Wind wurde schärfer, er wehte mir Eissplitter ins Gesicht. Er hüllte Esperanza in einen Wirbel und trieb mich gleichzeitig fort von ihr.
»Hilf mir!«, rief ich. »Sag mir, was ich tun muss, um das Ende aufzuhalten!«
Doch ich konnte sie nicht mehr sehen, und im nächsten Moment wurde ich durch das Portal in den Tunnel gesaugt und trieb fort.
»Nein!«, schrie ich, denn ich wusste, wenn ich wieder in dem abwärtsführenden Schacht landete, wäre alles zu spät.
Mit einem Keuchen fuhr ich hoch – und war wach. Benommen blickte ich in das matte Grau des Zimmers, einen Moment lang völlig desorientiert. Dann wurde mir klar, dass ich nicht in unserer Wohnung in Venedig war und auch nicht in
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