Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
irgendwas, das ich nicht verstand, aber ich hörte für einen Moment auf zu heulen.
»Alles okay«, log ich. »Je suis bien.«
Sie ging achselzuckend weiter. Plötzlich nahm ein Gedanke in meinem Kopf Gestalt an. Wenn wirklich alles schiefgegangen war und meine Aufgabe (ich wusste immer noch nicht genau, welche!) nicht mehr erfüllt werden konnte – hätte das dann hier nicht die grässliche Parallelwelt aus Esperanzas Spiegel sein müssen? Es sah jedoch alles ganz normal aus. Nirgends waren Schüsse zu hören, und Ruinen sah ich auch keine. Grübelnd stemmte ich mich hoch. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren, denn sonst hätte es die richtige Zeit gar nicht mehr geben dürfen, oder?
Vom angestrengten Nachdenken schmerzte mir der Kopf. Vor allem hinten. Vorsichtig betastete ich die Stelle – und stöhnte auf. Unter meinen Fingerspitzen fühlte ich eine gewaltige Beule. Das war Gastons Werk. Flammender Zorn erfasste mich. Wenn ich nicht zufällig die Maske dabeigehabt hätte, wäre ich ertrunken! Dieses Arschloch! Voller Wut trat ich so heftig in eine Pfütze, dass das Wasser hochspritzte. Am liebsten hätte ich irgendwas zerschlagen, vorzugsweise auf Gastons Kopf.
Meine Zähne hatten angefangen zu klappern, und meine Hände und Füße fühlten sich an wie Eisklötze. Schlotternd schleppte ich mich in die Avenue Victoria. Es war ein eigentümliches Gefühl, durch diesen Teil der Stadt zu gehen, die ich noch vor wenigen Stunden ganz anders erlebt hatte. Hier erinnerte kaum etwas an das historische Paris. Außer mir selber natürlich. Ich musste den Leuten ziemlich komisch vorkommen in meinem altertümlichen Aufzug, sie starrten mich reihenweise ungläubig an. An der Rezeption des Britannique rang ich mir notgedrungen eine längere Erklärung ab, denn irgendwie musste ich der Empfangsdame ja vermitteln, wieso ich plötzlich in diesem seltsamen Zustand wieder hier auftauchte.
»Ich habe die letzten Tage bei ein paar Freunden übernachtet, bei … hm, Schauspielern. Heute war ich im Theater, wir wollten für ein historisches Stück proben. Leider sind meine Sachen aus der Garderobe gestohlen worden. Da fiel mir ein, dass ich ja noch meine Reisetasche im Hotel habe. Dummerweise bin ich auf dem Weg hierher in den Regen gekommen. Und … hingefallen, deshalb sehe ich auch so nass und schmutzig aus. Oh, und hätten Sie zufällig ein Aspirin für mich? Oder zwei?«
Die Empfangsdame blickte mich konzentriert an und fragte dann höflich auf Englisch, ob ich das Gesagte wiederholen könne. Ich hatte meine kleine Ansprache einfach auf Deutsch hervorgesprudelt, ohne daran zu denken, dass der Translator hier nicht funktionierte. Hastig erklärte ich ihr alles noch mal auf Englisch, worauf sie mir ein paar Kopfschmerztabletten spendierte und anschließend die Sachen holte, die ich ihr zur Aufbewahrung gegeben hatte.
»Ich muss dringend duschen und mich umziehen. Hätten Sie noch ein Zimmer für mich?«
»Sicher. Bloß leider nicht mehr das von gestern Abend. Sie hatten ja schon ausgecheckt.«
»Haben Sie gerade gestern Abend gesagt?«
Die Empfangsdame nickte.
»War ich da etwa hier?«, fragte ich verwirrt.
»Natürlich. Sie haben mir Ihre Sachen gebracht und sind dann gegangen. Wissen Sie das denn nicht mehr?« Sie betrachtete mich ein wenig besorgt.
Ich sah geistesabwesend durch sie hindurch. Hier war nur eine einzige Nacht vergangen! Das nannte ich Dusel, denn so konnte ich wenigstens sicher sein, dass meine Eltern nicht schon vor lauter Sorge über mein Verschwinden tausend Tode gestorben waren. Es gab keine Vermisstenanzeige, keine polizeiliche Suchmeldung und auch sonst keinen Stress. Nichts, was normalerweise nach einer einwöchigen Verschollenheit zu erwarten gewesen wäre.
Bisher hatte ich immer angenommen, dass die Zeit auf allen Ebenen gleich schnell weiterlief, außer bei einer Rückreise an den Ausgangspunkt durch ein Mondphasentor. Doch bei mir war es diesmal offensichtlich anders gewesen. Ob das an der Maske lag? In meinem Kopf hämmerte es wie von einem Pressluftbohrer. Ich hörte besser mit dem Denken auf, weil es zu nichts führte außer falschen Schlüssen. Davon abgesehen musste man mindestens den Nobelpreis in Physik haben, um diese Thematik auch nur ansatzweise zu verstehen. Das komplexe Feld der Paradoxa , so hatte José es einmal scherzhaft genannt. Meine intellektuelle Kapazität war damit leider überfordert, erst recht nach diesem harten Schlag auf den Kopf.
Egal. Jetzt musste
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