Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
ich erst mal dringend unter die Dusche. Und telefonieren. Vor allem telefonieren. Und bei Wikipedia vorbeischauen und schnell Die drei Musketiere fertig lesen. Danach würde ich hoffentlich einen neuen Plan haben und wissen, wie es weiterging.
Es war nur so ein Bauchgefühl, aber ich ahnte, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb.
Kaum war ich im Zimmer, versuchte ich als Erstes, José zu erreichen, doch es ging wieder nur die Bandansage dran.
Frustriert und niedergeschlagen sah ich mir anschließend die Nachrichten an, die zwischenzeitlich auf meinem Handy aufgelaufen waren. Ein Anruf auf meiner Mailbox von meiner Mutter aus Kopenhagen ( Papa ist gut hier angekommen, hoffentlich hast du es nett in Paris! Melde dich doch mal, wenn du Zeit hast! ). Dann eine SMS vom Telefonanbieter wegen der zugebuchten Flatrate. Und jede Menge SMS von Vanessa, angefangen mit Was geht so in der Stadt der Liebe? Schick mir ein Foto vom Eiffelturm bei Nacht! über Ich gehe gleich mit Daniel weg, diesem süßen Typen aus der Zwölf. Ich wollte es schon immer mal mit jüngeren Männern probieren! bis hin zu Wieso meldest du dich überhaupt nicht, was ist los mit dir???
Während ich alles checkte, piepste eine ankommende SMS . Die Nummer kannte ich nicht.
Komme heute um Mitternacht. Warte auf mich am Portal auf der Brücke. José.
Vor Aufregung wäre mir fast das Handy runtergefallen. José hatte mir geschrieben! Er war hierher unterwegs! Ich fing wieder an zu flennen, aber diesmal vor Erleichterung und Dankbarkeit, denn das war die beste Nachricht seit Langem.
Werde dort sein , schrieb ich zurück. Wie geht es dir? Bei mir alles schiefgegangen. Gaston ist Verräter. Sebastianos Erinnerung weg.
Ich wartete und wartete, doch es kam keine Antwort. Minuten verstrichen, ohne dass sich etwas tat. Das war typisch für ihn. José war nicht ganz so wortkarg wie Esperanza, aber mit Erklärungen hielt er sich auch immer sehr zurück. Ich würde mich wohl bis Mitternacht gedulden müssen. Na toll. Aber immerhin gab es jetzt wieder eine Perspektive. José würde schon wissen, was zu tun war. Zum ersten Mal seit Tagen verspürte ich wieder einen Hauch von Zuversicht.
Ich rang mir ein paar fröhliche Nachrichten an meine Eltern und Vanessa ab, warf zwei Aspirin ein und legte den Lederbeutel und die Maske zum Trocknen auf die Heizung. Dann gönnte ich mir eine ausgiebige Dusche, und es war mir vollkommen egal, ob zufällig irgendwer mit einem Schlachtermesser von draußen reinkam und den Duschvorhang zur Seite riss.
Anschließend zog ich frische Sachen an, hängte mein iPhone ans Ladekabel und stattete Wikipedia einen längeren Besuch ab. Ich las noch einmal die wichtigsten Einträge, angefangen mit Richelieu. Dann den Artikel über Die drei Musketiere und die sogenannte Diamantnadel-Affäre, bei der niemand genau zu wissen schien, ob sie sich wirklich zugetragen hatte oder ob sie nur der Einbildungskraft von Alexandre Dumas entsprungen war, dem Autor des Romans. Theoretisch hätte ich das jetzt mit einem eigenen Statement für alle Welt klarstellen können, beispielsweise: Forschungen einer verdeckt arbeitenden Zeitreisenden haben ergeben, dass es sich in Wahrheit um ein Collier aus Brillanten handelte.
Bei Ludwig dem Dreizehnten hätte ich eintragen können: Neuere Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass der König homosexuell war und somit nicht der leibliche Vater von Ludwig dem Vierzehnten.
Ich fragte mich sowieso, warum etwas in der Art nicht schon längst dort stand. Eigentlich konnte es jeder herausfinden. Schon ein kurzer Blick auf die königlichen Mätressen quer durch die französische Geschichte brachte den Beweis: Ludwig der Dreizehnte hatte bloß platonische Freundinnen, während die Könige vor und nach ihm reihenweise Gespielinnen und uneheliche Sprösslinge aufzubieten hatten.
Und allein die absurde Story, wie der König und die Königin nach über zwanzigjähriger Ehe den ersehnten Thronfolger zustande gebracht hatten! Angeblich war der König wegen eines Unwetters gezwungen gewesen, im Schloss zu übernachten, wo sich gerade die Königin aufhielt, und dann hatte er sich – wieder gezwungenermaßen – auch noch zu ihr ins Bett legen müssen, weil ihr Schlafzimmer der einzige beheizte Raum im ganzen Gebäude war. Neun Monate später war dann der Sonnenkönig geboren worden.
Ob das wirklich jemand ernsthaft glaubte?
Nach einer Weile verschwammen die Wörter vor meinen Augen, ich konnte mich kaum noch konzentrieren. Ich
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