Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
nicht hierher, denn wir kommen aus einer anderen Zeit.«
Ich war völlig platt über meine eigenen Worte, denn ich hatte sie ungehindert aussprechen können, die Sperre war nicht in Kraft getreten! Das war ein gutes Zeichen!
»Du redest Unsinn.«
»Nein, Anna hat recht, ihr beide kommt aus einer andern Zeit«, meldete sich Philippe zu Wort. »Man nennt euch Beschützer. Ihr handelt im Auftrag der Bewahrer. Ich arbeite als Bote für euch Zeitreisende, deshalb weiß ich es. Es stimmt alles, was sie sagt.«
Doch Sebastiano lachte nur und ging kopfschüttelnd weiter.
Ich fasste nach seiner Hand. »Du bist überhaupt kein Franzose. Dein Name ist Sebastiano Foscari, du stammst aus Venedig.«
Auch das hatte ich problemlos aussprechen können. Seine Erinnerungen waren dabei zurückzukehren! Es fehlte nicht mehr viel! Wenn ich nur ein bisschen mehr Zeit gehabt hätte, wäre es mir vielleicht gelungen, ihn zu überzeugen. Oder ihn wenigstens dazu zu bringen, sich weitere Details anzuhören, die sein Gedächtnis aktiviert hätten. Mit ein wenig Glück wäre möglicherweise auch José noch aufgetaucht, der sich dann rechtzeitig um den Rest hätte kümmern können.
Aber im nächsten Moment hatten wir bereits den Saal betreten und wurden dort gleich darauf von ein paar Dienern zur Seite geschoben, um einen möglichst breiten Durchgang zu schaffen. Ich verlor Sebastiano aus den Augen und fand mich in einem Gewühl aus Seidenröcken, Spitzenjabots und Samtwämsern wieder. Der Körperkontakt in der Menge raubte mir buchstäblich den Atem, ich wurde hin und her geschoben und atmete einige Ausdünstungen ein, auf die ich lieber verzichtet hätte. Schwellende, gepuderte Ausschnitte über engen Miedern, stechend parfümierte Frisuren, harte Ellbogen, Masken über Masken – für ein paar Augenblicke verlor ich die Orientierung, doch dann kam von irgendwoher eine Hand und zog mich zielsicher aus dem Gedränge.
»Mir wäre lieber, du bleibst bei mir, dann kannst du keinen Blödsinn mehr anstellen«, raunte Sebastiano mir zu. Er legte den Arm um mich und drückte mich an sich. Sein warmer Atem streifte meine Schläfe. Als ich zu ihm aufschaute, bemerkte ich, wie er stirnrunzelnd mein Dekolleté betrachtete.
»Dieses Kleid ist zu tief ausgeschnitten.«
Ich konnte nicht anders, ich musste trotz der angespannten Situation grinsen. Genau dieselbe strenge Miene hatte er auf unserem ersten gemeinsamen Ball aufgesetzt, weil ich da ein ähnlich offenherziges Kleid getragen hatte.
Er strich vorsichtig über meinen Hals. »Man sieht die Würgemale. Tut es weh?«
»Nein, es geht schon wieder.«
Wieder furchte er die Stirn, und ich ahnte, dass auch diese Situation an seine verschütteten Erinnerungen rührte. Damals auf dem Ball in Venedig hatte mich ebenfalls jemand erwürgen wollen, und die Würgemale an meinem Hals waren Sebastiano aufgefallen, als er an meinem Ausschnitt rumgemeckert hatte – genau wie gerade eben. Das alles hier musste ihm wie das größte Déjà-vu aller Zeiten vorkommen.
»Anna«, sagte er leise. Dann beugte er sich zu mir herab und küsste mich schnell. »Verdammt, warum liebe ich dich so? Kannst du mir das erklären?«
»Falls es eine ernsthafte Frage ist: Du hast mal gesagt, dass du meinen Sinn für Humor magst. Und meine Dickköpfigkeit. Und mein Haar. Und alles andere eigentlich auch.«
»Anna!« Marie und Opa Henri schoben sich durch die Menge und gesellten sich zu uns. Marie war sichtlich nervös. Sie hatte ihren Fächer ausgeklappt und bewegte ihn hektisch vor ihrer bestickten Maske hin und her. In ihren Augen las ich die unvermeidliche Frage nach den Brillanten, und als ich unmerklich den Kopf schüttelte, hob sie rasch den Fächer vor ihr Gesicht, um ihr Erschrecken zu verbergen.
Dafür war Opa Henri glänzender Laune. »Was für ein wundervolles Fest! All diese schönen jungen Menschen!« Er rückte seine Maske zurecht – dunkelblauer Samt, passend zu seinem Wams –, und ohne auf sein lahmes Bein zu achten, vollführte er eine elegante Verbeugung mit Kratzfuß vor mir. »Vor allem du, meine Kleine! Wie zauberhaft du wieder aussiehst! Doch ich glaube, das sagte ich dir bereits, nicht wahr?«
»Ja, aber trotzdem vielen Dank für das Kompliment.« Ich rang mir ein Lächeln ab und versuchte, mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen.
Opa Henri klopfte Sebastiano leutselig auf die Schulter. »Junger Mann, was für ein Glück Ihr habt, dieses Mädchen für Euch gewonnen zu haben. Ich hoffe, Ihr
Weitere Kostenlose Bücher