Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
hatte die Pforte wieder geöffnet und winkte mich ins Haus. Von der Eingangshalle führte eine breite Marmortreppe mit geschwungenem Geländer hinauf in die Bel Etage . Schon im Vorzimmer des Salons bekam man einen Eindruck von dem Reichtum der Bewohner. Überall funkelten Kristalllüster, die Wände waren mit taubenblauer Seide bespannt, an den Fenstern hingen kostbare Draperien, und im Treppenaufgang prangten Ölschinken im Format von Kleinwagen.
Der Diener führte mich durch eine doppelflügelige Tür in den lichtdurchfluteten Salon.
»Da ist sie ja«, sagte Cécile, während sie sich von einem hochlehnigen Sofa erhob. »Komm näher, Anna, damit man dich besser sehen kann.«
Damit man dich besser fressen kann , schoss es mir durch den Kopf. In meiner Aufregung stolperte ich über die Türschwelle und musste mich an einer mit Fransen verzierten Samtkordel festhalten, worauf von irgendwoher unter mir ein schwaches Bimmeln zu hören war. Super, jetzt hatte ich aus Versehen nach dem Personal geklingelt. Den Job konnte ich garantiert vergessen.
»Der erste Eindruck trügt«, sagte Cécile. »Sie ist sonst nicht so ungeschickt.«
Von dem frontal einfallenden Sonnenlicht geblendet, sah ich die beiden übrigen Anwesenden nur als Silhouetten – einen Mann in einem Ohrensessel und eine Frau auf dem Sofa, von dem Cécile gerade aufgestanden war.
»Sie ist reizend«, hörte ich die Frau sagen. Seltsamerweise kam mir ihre Stimme bekannt vor, aber erst, als ich die kurze Strecke zwischen Tür und Sitzgruppe zurückgelegt hatte und die dunkelhaarige Schönheit in dem kostbaren Seidenkleid sah, erkannte ich sie wieder. Und schnappte nach Luft, weil ich es nicht glauben konnte: Es war die amerikanische Touristin, die mit mir zusammen in die Vergangenheit gereist war – Mary. Und der weißhaarige alte Mann dort auf dem Sessel war ihr Opa Henry.
Ich stand einfach nur mit offenem Mund da und brachte kein Wort heraus. Nicht etwa, weil die Sperre in Aktion trat, sondern weil es mir vor lauter Fassungslosigkeit die Sprache verschlagen hatte.
»Äh … guten Tag«, stammelte ich schließlich.
Danach blieb ich stumm stehen und glotzte wie ein Schaf, während Cécile alles Weitere mit meinen neuen Arbeitgebern regelte. Das Ganze klappte viel besser als erwartet. Ursprünglich hatte ich mir ausgemalt, als Zimmermädchen eingestellt zu werden, aber wie es aussah, sollte ich weder Betten machen noch Böden schrubben. Mary verkündete mit fröhlicher Bestimmtheit, ich sei die ideale Gesellschafterin.
Ihr Opa bestärkte sie darin.
»Eine bessere findest du nicht«, sagte Mister Collister überzeugt. Er stemmte sich ein wenig unbeholfen aus dem Sessel hoch und stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stock. Ein gutmütiges Lächeln trat auf sein knittriges Gesicht. »Ich weiß nicht warum, doch dieses junge Mädchen ist mir auf Anhieb ans Herz gewachsen.«
»Mir auch«, stimmte Mary strahlend zu. »Das finde ich wirklich wundervoll, denn dergleichen ist mir noch nie passiert. Es kommt mir vor, als hätte ich lange nach dir gesucht und dich endlich gefunden.«
Der Enthusiasmus der beiden war fast mit Händen zu greifen. Marie bestand sogar darauf, dass ich augenblicklich bei ihr einzog.
»Deine Sachen lasse ich später von einem der Diener holen«, sagte sie. »Und nun folge mir, ich zeige dir deine Unterkunft.«
»Da-danke, Madame«, stotterte ich. »Äh … Frau Herzogin.«
»Nenn mich Marie. Als meine Gesellschafterin bist du keine beliebige Dienerin, sondern meine Freundin.«
Cécile starrte sie an. Sie sah aus, als würde sie sich gern kneifen, weil sie es nicht glauben konnte.
»Ich fasse es nicht«, flüsterte sie mir auf der Treppe zu, als wir beide Marie hinauf in den vierten Stock folgten, wo sich mein Zimmer befand. »Sie hat dich ja gerade förmlich adoptiert! Ihre Begeisterung ist mir ein Rätsel. Gewiss, ich habe dich ihr mit blumigen Worten beschrieben. Tatsächlich bist du ja auch ein recht niedliches Ding und wirklich sprachbegabt.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber leider auch tollpatschig und ohne besonderen Esprit. Mit anderen Worten, eher langweilig. Dennoch scheint sie überaus angetan von dir. Wie ich schon sagte – ein Rätsel.«
Ich wollte beleidigt widersprechen, verkniff es mir jedoch, denn sie hatte völlig recht. Es war nicht normal, dass Mary – hier Marie – derartig entzückt von mir war.
Ich hätte Cécile erklären können, dass Maries Verhalten – und auch das ihres Opas – mit
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