Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
ihrem Unterbewusstsein zusammenhing, das trotz ihres komplett gelöschten und ausgetauschten Gedächtnisses auf einer sehr tiefen Ebene noch funktionierte. Ich war sozusagen ein Fragment im Urschlamm ihrer verlorenen Erinnerungen. Etwas, das sie instinktiv bewahren und behalten wollten.
Dieses Phänomen hatte ich schon einmal erlebt, bei Matthias Tasselhoff, der sich vor anderthalb Jahren in Venedig ein bisschen in mich verliebt hatte. Als ich ihn dann im Jahr 1499 wiedergetroffen hatte, hieß er Matteo Tassini und konnte sich an sein vorheriges Leben in der Zukunft nicht mehr erinnern. Trotzdem hatte er sich immer noch zu mir hingezogen gefühlt. Das Unterbewusstsein war eine mächtige Kraft. Aus dem Grund zählte ich auch so sehr darauf, Sebastiano zurückgewinnen zu können.
Doch all das konnte ich natürlich niemandem sagen. Eigentlich hätte ich wegen Maries Herzlichkeit ein schlechtes Gewissen haben müssen, aber ich war viel zu erleichtert, dass sich alles so problemlos angelassen hatte.
Meine Kammer befand sich unterm Dach und war mit ordentlichen neuen Möbeln ausgestattet – einem Bett mit einer richtigen Matratze und frischen weißen Laken, einer Kommode, einem Kerzenständer, einem Schemel und einem – hm, Nachttopf mit Deckel.
»Natürlich ist das nur vorübergehend«, sagte Marie entschuldigend. »Ich lasse dir ein besseres Zimmer herrichten. Am besten im selben Gang wie meines, damit ich dich in meiner Nähe habe.«
Cécile nahm diese Ankündigung ungläubig zur Kenntnis. Als wir wieder nach unten gingen, setzte sie mehrmals zu einer Bemerkung an, schüttelte dann aber nur fassungslos den Kopf. Sie wirkte, als sei sie vollkommen überrollt von dieser Wendung der Ereignisse. Mich beschlich der Verdacht, dass sie vielleicht neidisch auf Marie war, auf deren sorgloses Leben und den verschwenderischen Reichtum, und dass sie es sich lustig vorgestellt hatte, mit meiner Hilfe Sand ins Getriebe zu streuen. Und jetzt hatte sich das, was ihr anfangs als cooler Plan vorgekommen war – mich in Maries Haushalt einzuschleusen, damit ich ihr einen potenziellen Lover abspenstig machte –, in eine Richtung entwickelt, mit der sie nicht gerechnet hatte.
Marie verabschiedete sich mit sonnigem Lächeln von ihr. »Ohne Euch hätte ich nie eine so reizende Gesellschafterin gefunden. Eure Empfehlung hat mich überglücklich gemacht, meine Liebe. Ich weiß diesen Freundschaftsdienst zu schätzen, und mein Dank ist Euch gewiss. Wollt Ihr nicht heute Abend zu meiner kleinen Soiree kommen?«
»Leider bin ich unabkömmlich, wir haben im Theater Probe«, sagte Cécile leicht förmlich.
»Wie schade. Dann beim nächsten Mal.«
»Ganz sicher, Hoheit. Ich hoffe, Ihr beehrt uns auch recht bald wieder bei einer Vorstellung.«
»O ja, zweifellos«, versicherte Marie. »Ihr wisst, wie sehr ich das Theater liebe.«
Als ich das hörte, fühlte ich mich alles andere als wohl, weil die beiden keine Ahnung hatten, dass ihre gemeinsamen Erinnerungen nur in ihrer Einbildung existierten. Marie bildete sich ja nur ein, in Céciles Theater gewesen zu sein, und Céciles Gedächtnis war automatisch ebenfalls zwangsangepasst worden, so wie bei allen möglichen anderen Leuten in Paris, die davon überzeugt waren, Marie schon lange zu kennen. Beispielsweise die Königin, die laut Cécile angeblich Maries beste Freundin war. Oder Richelieu, der Marie nicht über den Weg traute, warum auch immer.
Wie schon vor meinem Aufbruch ins Jahr 1625 fragte ich mich, warum Marie, vormals Mary, wohl hierher versetzt worden war. Es konnte sein, dass der Grund dafür sich erst in vielen Jahren herausstellte. Von daher war es möglich, dass ich es nie erfuhr. Nur eines wusste ich jetzt schon mit felsenfester Sicherheit: Ich würde verhindern, dass Sebastiano was mit ihr anfing. Wenn es sein musste, mit allen schmutzigen Tricks.
Beim Mittagessen, das ich gemeinsam mit Marie und ihrem Opa in einem großen Speisesaal einnahm, erfuhr ich mehr über Marie, jedenfalls über die hiesige Version ihres Lebens. Sie erzählte mir ganz unbefangen selbst alles Wissenswerte, bei einem leichten Imbiss , wie sie es nannte. Tatsächlich brach der Tisch im Speisesaal fast zusammen unter all den Schüsseln und Platten, die diverse Diener hereinschleppten. Marie pickte sich nur hier und da was herunter, und auch Mister Collister nahm nur kleine Portionen zu sich, während ich meinen Teller bis zum Rand mit all den Köstlichkeiten vollpackte.
Marie war seit zwei Jahren
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