Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Kopf brummte mir fürchterlich, als ich mich aufsetzte. Die Beule hatte die Dimensionen einer mittleren Tomate angenommen und fühlte sich auch so ähnlich an, abgesehen davon, dass es höllisch wehtat.
Ich quälte mich aus dem Bett und ging zum Abtritt. Monna Faustina war nicht da, was mir sehr entgegenkam, weil ich nicht zu Unterhaltungen aufgelegt war. Auf dem Rückweg nach oben nahm ich mir ein Stück Brot und einen Becher Wasser mit. Ich fand, dass das für den horrenden Preis, den ich für die Schreibsachen berappt hatte, inbegriffen sein müsse.
Nachdem ich gegessen und getrunken hatte, rollte ich das Pergament auf Sebastianos Kleiderkiste aus und tunkte die Feder in die Tinte.
Irgendwann im Morgengrauen war ich aus wirren Albträumen hochgeschreckt, und kurz bevor ich wieder eingedöst war, hatte ich plötzlich gewusst, was ich in der dritten Botschaft schreiben wollte.
Wie bei jedem Brief gehörte oben das Datum hin.
Venedig, 1499
D anach kam der eigentliche Brief, für den ich mich jedoch erst warm schreiben musste, vor allem, um mich an die Kleckserei und das Kratzen der Feder zu gewöhnen. Ich fing damit an, scheinbar plan- und ziellos Schnörkel im oberen Teil des Blattes zu zeichnen, denen ich durch allerlei nachträgliche Verzierungen schließlich die Gestalt von Buchstaben verlieh. Dazwischen malte ich Sternchen, dann wieder neue Schnörkel. Alles, ohne mich besonders darauf zu konzentrieren.
Dann kam ich zur eigentlichen Botschaft, mit der ich zu meinem Ärger nur schlecht vorankam und immer wieder neu ansetzen musste. Schließlich las ich, was ich gemalt und geschrieben hatte.
H* l* o!
Zuerst das Wichtigste:
Mein Name ist Anna. Ich habe drei Mal versucht, meinen vollen Namen und mein Geburtsjahr hinzuschreiben, aber es geht nicht.
Ich weiß sowieso nicht, ob ich noch viel schreiben kann. Allein für die ersten Sätze habe ich fast eine Stunde gebraucht und keiner davon ist stehen geblieben. Das liegt natürlich daran, dass ich zu unvorsichtig war. Ich muss darauf achten, welche Begriffe und Zahlen ich verwende, denn wenn sie nicht passen, lassen sie sich nicht aufschreiben. Oder sie verändern sich, bis sie eine ganz andere Bedeutung bekommen.
Ach ja, und dann natürlich das Papier. Meine Schrift sieht darauf merkwürdig fremd aus. Das macht das Schreiben nicht gerade leicht. Ich muss Pergament nehmen, weil es haltbarer ist, aber am Ende kann man die Kleckse kaum noch zählen. Die Tinte stinkt wie verfaultes Gift. Von der Feder will ich erst gar nicht reden, auch nicht von dem Geräusch, das sie beim Schreiben macht. Unfassbar, dass Menschen auf diese Weise ganze Bücher schreiben!
Die Zeit ist knapp! Mein Versteck ist nicht sicher, ich kann jeden Moment erwischt werden. Ob ich danach wieder so schnell an Schreibzeug komme, ist fraglich.
Sobald ich diesen Brief fertig habe, will ich ihn verstecken und beten, dass er gefunden wird. Von einem Mann aus dem hohen Norden. Falls sich das verrückt anhört, ist das leider unvermeidlich. Genauer kann ich es nicht ausdrücken. Ich werde den Brief in Wachstuch einwickeln und darauf vertrauen, dass er nicht verschimmelt.
Ich höre Schritte und muss aufhören.
Später hoffentlich mehr.
TEIL VIER
Venedig, 1499 und 2009
I ch legte die Feder zur Seite und huschte zur Stiege, wo ich stehen blieb und angespannt lauschte. Möglich, dass es Monna Faustina war, die ich unten vorm Haus gehört hatte und die jetzt an der Tür war. Vielleicht aber auch jemand anders. Als ich vorhin geschrieben hatte, dass mein Versteck nicht sicher sei, hatte ich nicht übertrieben. Letzte Nacht hatte ich den Fehler begangen, nicht auf mögliche Verfolger zu achten. Es war nicht auszuschließen, dass Alvise mich aufgespürt hatte.
Dann atmete ich erleichtert aus, denn ich hörte von unten Monna Faustina griesgrämig mit sich selbst reden.
»Da ist man ein guter Mensch und bietet jungen Leuten Obdach und Nahrung und so wird es einem gedankt! Ein Haufen Arbeit und fast kein Geld! Den ganzen Tag nur aufräumen und fegen, kochen und putzen, waschen und einkaufen …« Ihr Geschimpfe wurde leiser, als sie in die Vorratskammer ging, um ihre Einkäufe auszupacken. Ob sie auch frisches Brot mitgebracht hatte? Sofort knurrte mir der Magen, aber ich beherrschte mich. Anstatt mir bei Monna Faustina ein überteuertes Stück Brot zu kaufen, konnte ich mir genauso gut etwas am nächstgelegenen Marktstand besorgen.
Kurz entschlossen hockte ich mich wieder vor die Kiste, die mir als
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