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Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Titel: Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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um einen Knaben von vielleicht neun oder zehn Jahren, also in einem Alter, wo Jungs noch brav sein konnten und keine Übung darin hatten, Mädchen reinzulegen.
    Ich winkte ihn heran.
    »Willst du dir zwei Soldi verdienen?«, fragte ich, ohne den Schleier zurückzuschlagen.
    Als er stumm nickte, reichte ich ihm die Botschaft. »Hier, bring das zum Palazzo da drüben, mit den Löwenköpfen an der Fassade. Die Nachricht ist für den Hausherrn bestimmt, Messèr Trevisan, aber du kannst sie auch dem Diener geben.« Ich gab ihm einen Soldo. »Dasselbe kriegst du noch mal, wenn du es erledigt hast.«
    Er lief sofort los. Nach einer Weile kam er zurück.
    »Habe alles so gemacht, wie Ihr es wolltet. Der Hausherr war nicht da, also habe ich den Zettel dem Diener gegeben.«
    Ich händigte ihm die zweite Münze aus und bedankte mich.
    Hoffnungsvoll musterte er mich. »Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, Madonna? Einen zweiten Zettel überbringen vielleicht?«
    »Na ja, ich habe tatsächlich noch einen Zettel. Aber das Haus, zu dem er gebracht werden muss, ist ein Stück weit entfernt.«
    »Ich kenne alle Ecken von Venedig«, trumpfte der Junge auf. Ihm war anzusehen, wie gern er sich das Geld verdient hätte.
    »Weißt du, wo die Kräuterhandlung von Monna Matilda ist?«, fragte ich.
    Der Junge lächelte erleichtert. »Das ist einfach. Wir holen dort immer die Medizin für meinen Großvater gegen den bösen Husten. Ich war schon öfter dort.«
    »Gut. Dann kannst du mich begleiten, denn ich muss sowieso dorthin. Deine Aufgabe dabei wäre, nach allen Seiten Ausschau zu halten, ob mich niemand verfolgt.«
    Der Junge grinste mich erfreut an. »Ich habe gute Augen.«
    »Ich normalerweise auch. Wenn ich nicht dieses Ding trage.«
    Ich deutete auf den Schleier.
    Er zuckte die Achseln. »Edle Frauen dürfen nun einmal nicht ohne Schleier in der Stadt herumlaufen.«
    Für ihn schien das ganz in Ordnung zu sein, während ich mich fragte, wie lange diese Mode hier wohl noch anhalten würde. Zweihundert Jahre? Dreihundert? Die Emanzipation würde jedenfalls noch lange auf sich warten lassen.
    Der Junge spähte in alle Richtungen und blieb an jeder Ecke und vor jeder Brücke stehen, um die Lage zu sondieren. Ich fühlte mich sofort um einiges sicherer. In der Nähe der Kräuterhandlung wurde ich jedoch vorsichtiger. Als wir den Platz mit dem Brunnen erreicht hatten, blieb ich stehen und gab dem Jungen einen Soldo. »Da, die erste Hälfte. Ich warte hier.«
    Mit einem Grinsen flitzte er davon und kam kurze Zeit später zurück. »Auftrag ausgeführt«, sagte er.
    »Wem hast du den Zettel übergeben?«
    »Monna Matilda, der Kräuterhändlerin.«
    »Bist du sicher?«, fragte ich zweifelnd. »In der Botschaft stand nämlich, dass sie hierherkommen soll, zum Brunnen.«
    Stirnrunzelnd blickte der Junge sich um. »Na, da kommt sie doch schon! Ich war bloß schneller, weil ich nicht so dick bin wie sie.«
    Tatsächlich, dort drüben kam soeben Monna Matilda mit wehenden Röcken um die Ecke gesegelt, mit einer für ihre Körperfülle überraschenden Geschwindigkeit.
    Der Junge hielt die Hand auf und ich drückte ihm den verdienten Soldo hinein.
    »Ich könnte noch mehr Zettel für Euch überbringen«, sagte er mit leuchtenden Augen. Ich dachte kurz nach und nickte dann langsam. »Eine Nachricht habe ich noch.«
    »Oh, gut!«
    »Wie heißt du eigentlich?«, fragte ich ihn.
    »Gino.«
    »Hübscher Name. Ich bin übrigens Anna. Gino, du bist ein hilfsbereiter und lieber Junge. Du darfst mir bei der Übergabe der letzten Nachricht helfen. Zuerst muss ich aber unter vier Augen mit Monna Matilda sprechen. Du kannst so lange da vorn an der Ecke auf mich warten und dabei achtgeben, ob jemand kommt, der es auf mich abgesehen hat.«
    Er nickte eifrig und sprintete zur nächsten Ecke, wo er stehen blieb und wachsam die Umgebung betrachtete.
    Monna Matilda kam herangerauscht und blieb schnaufend vor mir stehen. »Gott im Himmel«, stieß sie ärgerlich hervor, die Hand auf ihren wogenden Busen gedrückt. In der anderen Hand hielt sie den zerknüllten Zettel. Ihre Haube war verrutscht, ihr Gesicht von Schweiß bedeckt. »Was soll das alles bedeuten?«, fuhr sie mich an. »Wo ist dieses undankbare, ungezogene Geschöpf?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte ich.
    Sie wedelte mit dem Zettel. »Du schreibst, sie wurde entführt! Von wem und wohin?«
    Das von wem hätte ich beantworten können, doch ich war schon bei dem Versuch gescheitert, es aufzuschreiben.

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